01_2024 „Neue Therapeutika zur Behandlung der Alzheimer Krankheit"
Lieber Herr Professor Frölich,
inzwischen gibt es drei Wirkstoffe, die ursächlich zur Behandlung der Alzheimer-Krankheit wirken, Aducanumab, Lecanemab und Donanemab. Die ersten beiden sind in den USA bereits zugelassen. Aducanumab ist in Europa nicht zugelassen. Die europäische Zulassungsbehörde wartet auf die Ergebnisse einer weiteren internationalen Studie, um zu beurteilen, ob Aducanumab nicht doch zugelassen werden sollte. Die Entscheidung der europäischen Zulassungsbehörde für Lecanemab wird 2024 erwartet. Die Zulassung für Donanemab ist in den USA beantragt, Europa wird folgen. Kurzum: bis heute ist keiner der genannten Wirkstoffe in Europa zugelassen. Jedoch wird aufgrund der positiven Studienlage und des Beispiels aus den USA erwartet, dass zumindest Lecanemab in Zukunft auch in Deutschland und anderen Ländern Europas zugelassen werden wird.
Welchen Therapieeffekt kann man von den neuen Substanzen erwarten? Lässt sich das anschaulich z.B. an Monaten der Krankheitsverzögerung verdeutlichen?
Zunächst einmal gilt, dass hier nur zwei Medikamente, Lecanemab und Donanemab, zusammen betrachtet werden können: Beide Medikamente liefern positive Wirksamkeit in Vergleich zu einem nicht-wirksamen Scheinmedikament (Placebo) über die Studiendauer von eineinhalb Jahren. Der Effekt ließ sich für kognitive Fähigkeiten, die Alltagskompetenz und im Fall von Lecanemab – was sehr bedeutsam ist – auch für die Lebensqualität der Patienten und ihrer Bezugspersonen nachweisen. Trotzdem nimmt der kognitive Zustand im Mittel aller Patienten der Behandlungsgruppe über die Studiendauer von eineinhalb Jahren langsam ab, aber weniger als in der Kontrollgruppe, welche das Medikament nicht erhalten hat. Auf die Studiendauer von eineinhalb Jahren umgerechnet ergab sich eine Verzögerung von etwa sechs Monaten. Ganz praktisch gesagt: Wenn Sie also sechs Monate länger in der Lage sind, selbständig zu bleiben, z.B. Auto zu fahren, ist das ein großer Gewinn. Die Hoffnung ist: je länger Sie das Medikament erhalten, desto länger können Sie den positiven Effekt haben.
Woraus kann man schließen, dass die Präparate tatsächlich ursächlich den Krankheitsverlauf positiv beeinflussen und nicht nur symptomatisch wirken?
Dieses kann man aus verschiedenen Beobachtungen ableiten: (1) aus biologischen Effekten: Die Amyloidablagerung im Gehirn nimmt dramatisch ab, am Ende der Studie ließ sich bei der Mehrheit der Patienten keine übermäßige Amyloidablagerung mehr nachweisen. Außerdem werden andere Biomarker im Nervenwasser, wie die Tauprotein-Menge und im Falle von Lecanemab noch weitere krankhaft erhöhte Marker des Nervenzelluntergangs wieder in Richtung Normalisierung reduziert; (2) aus klinischen Effekten: in früheren (Phase 2) Studien zeigte sich, dass der klinische Zustand der Patienten nach Ende der Studie längere Zeit stabil blieb und nicht unmittelbar wieder auf den Zustand der unbehandelten Kontrollgruppe zurückging.
Wie unterscheiden sich die drei Wirkstoffe hinsichtlich Wirkweise, Wirkstärke und Nebenwirkungsprofil?
Die Wirkweise aller drei Substanzen ist sehr ähnlich: Sie greifen an den Amyloidablagerungen im Gehirn an und reduzieren diese deutlich über den Studienverlauf. Auch die Wirkstärke (25-30% gegenüber der Placebogruppe), gemessen über verschiedene Messinstrumente, ist vergleichbar, wenngleich die Konsistenz der Ergebnisse zwischen den Substanzen etwas variiert und nicht alle Studien die gleichen Bereiche untersuchten. Auch das Nebenwirkungsprofil ist vergleichbar, was die Art der Effekte betrifft: Die Substanzen verursachen alle bei einer gewissen Anzahl von Patienten einen lokal umgrenzten Flüssigkeitsaustritt im Gehirn, der manchmal zu einer begrenzten Hirnschwellung (Ödem) führt. Bei wenigen Patienten tritt nicht nur Gewebeflüssigkeit aus, sondern auch Blut, manchmal nur als punktförmige Blutung, selten auch als größere, gefährliche Hirnblutung. In der Mehrzahl der Fälle merken die Patienten nichts von diesen Nebenwirkungen, man kann sie nur über eine Kernspin-Untersuchung aufdecken. Aber bei einem Viertel der Patienten mit Kernspinveränderungen treten auch Symptome auf, meist leichte Symptome wie Schwindel oder Sehstörungen, selten aber auch Krampfanfälle, Schlaganfallsymptome oder Bewusstseinsstörungen. Jeweils drei von ca. 800 Patienten in den klinischen Studien verstarben wegen solcher Nebenwirkungen. Aufgrund dieses Nebenwirkungsrisikos muss man alle Patienten sorgfältig und regelmäßig mit der Kernspintomographie des Schädels (MRT) untersuchen, so lange sie in Behandlung sind.
In Deutschland erwarten wir die Zulassung von Lecanemab. Für welche Patienten wird die Therapie in Frage kommen?
Alle Antikörper gegen Amyloid sind nur für wirklich frühe, aber symptomatische Stadien der Alzheimer-Krankheit geeignet, die derzeit in der Allgemeinmedizin oft noch nicht diagnostiziert werden. Das sind Patienten mit einer leichten kognitiven Störung (meist leichte Gedächtnisstörungen) oder einer leichten Demenz. Dann muss auch bei jedem Patienten nachgewiesen sein, dass er/sie wirklich an einer Alzheimer-Krankheit leidet, d.h. es muss eine Nervenwasseruntersuchung durchgeführt werden oder in besonderen Fällen eine bildgebende Untersuchung des Gehirns zum Nachweis der Amyloidablagerungen. Schließlich gibt es eine Reihe von Ausschlussgründen, warum ein Mensch, für den diese Medikamente prinzipiell geeignet sind, diese nicht erhalten darf, weil es gefährlich für ihn/sie sein könnte. Und ganz zum Schluss: Diese Medikamente werden als Infusion unter intensiver Überwachung verabreicht, es sind also keine Pillen. Manche Menschen werden es sich gründlich überlegen, ob der Aufwand und die Einschränkungen in der Lebensführung, die mit diesen Therapien verbunden sind, für sie zu hoch sind. Letztlich werden nur etwa 10% aller Patienten, die typischerweise in einer Gedächtnisambulanz untersucht werden, für die neuen Therapien geeignet sein.
Welche Schritte werden vor Therapiebeginn erforderlich sein?
Die Voruntersuchungen beinhalten eine umfangreiche Diagnostik, wie sie typischerweise in einer Gedächtnisambulanz durchgeführt wird: eine fachärztliche Untersuchung, neuropsychologische Tests, eine Nervenwasseruntersuchung für die Bestimmung von Biomarkern, eine Kernspintomographie des Schädels (MRT). Eine Computertomographie ist nicht ausreichend. In besonderen Fällen kann eine bildgebende Untersuchung des Gehirns zum Nachweis der Amyloidablagerungen (Amyloid-PET) die Nervenwasseruntersuchung ersetzen. Auch empfiehlt es sich, mittels einer Blutabnahme eine Bestimmung der genetischen Varianten des Apolipoprotein E (siehe Artikel 02_2023 „Vererbung der Alzheimer-Krankheit") durchzuführen. Selbstverständlich müssen alle zu erwartenden Wirkungen und Nebenwirkungen dem Patienten vorher gut erklärt werden, und es muss auch erklärt werden, dass man eine Heilung der Alzheimer-Krankheit nicht erwarten kann. Wenn Arzt/Ärztin und Patienten, evtl. auch die Angehörigen, gemeinsam zu der Entscheidung kommen, dass diese Therapie infrage kommt, können die Infusionen in einer Ambulanz durchgeführt werden.
Wie wird die Therapie konkret aussehen?
Die Therapie besteht aus einer zwei- oder vierwöchentlich wiederholten Infusionsbehandlung. Eine einzelne Infusion läuft folgendermaßen ab: Der Arzt untersucht den Patienten jedes Mal gründlich hinsichtlich seiner aktuellen Behandlungsfähigkeit, fragt nach aufgetretenen Nebenwirkungen und legt einen venösen Zugang. Möglicherweise muss der Patient noch zusätzliche Medikamente erhalten, bevor die Infusion beginnt. Das Medikament wird über eine 1-stündige Infusion verabreicht, dabei wird der Patient überwacht. Es schließt sich eine kurze Nachbeobachtungsphase an, bevor die Entlassung erfolgt. Der Rhythmus der Behandlung (eine Infusion alle 2 oder 4 Wochen) sollte möglichst nicht zu oft unterbrochen werden.
Wie lang wird die Therapie verabreicht werden müssen?
Das ist derzeit noch unklar, die Behandlung hat bisher kein klares Enddatum. Sicher ist, dass die Therapie zunächst für 1,5 Jahre durchgeführt werden soll und nur unterbrochen werden sollte, wenn Nebenwirkungen dies erfordern. So lange der Patient maximal eine leichte Demenz hat, wird die Therapie fortgesetzt. Wenn die Krankheit weiter vorangeschritten ist, muss individuell der Nutzen gegenüber dem Nebenwirkungsrisiko und dem Aufwand abgewogen werden und gemeinsam entschieden werden, ob eine weitere Infusionstherapie einen Sinn macht oder ob andere Optionen eingesetzt werden sollten.
Werden die Krankenkassen die Kosten für die Diagnostik und das Präparat übernehmen? Um welche Summen handelt es sich voraussichtlich? Werden auch die Behandlungskosten adäquat abgebildet werden?
Wenn ein Medikament in Europa zugelassen wurde, und wenn der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) für Deutschland entschieden hat, dass die Patienten auch einen konkreten Nutzen von der Behandlung erwarten können, werden die Diagnostik, die Kosten des Präparates und der Behandlungsdurchführung durch die Krankenkassen erstattet. Die jährlichen Kosten der Therapie werden jedoch nicht unbeträchtlich sein: Die Diagnostik- und Therapiedurchführungskosten einschließlich der Kontrolluntersuchungen liegen bei 2000-4000 € pro Jahr. Die Kosten des Medikamentes werden diese Kosten deutlich übersteigen, geschätzt im fünfstelligen Bereich liegen und natürlich jedes Jahr erneut anfallen. Wenn das Medikament für Deutschland als erstattungsfähig eingeschätzt wird (d.h. der Nutzen als gegeben angesehen wird), werden auch die Behandlungskosten über den üblichen Leistungskatalog für Ärzte erstattet. Einschränkend ist zu sagen, dass die im Leistungskatalog vorgesehenen Pauschalen den mit der Therapie verbundenen ärztlichen und pflegerischen Aufwand nicht im Geringsten abbilden. Sie liegen im zwei- bis niedrig dreistelligen Bereich pro Quartal. Sollten hier keine Sonderpauschalen vereinbart werden, wird die Therapie möglicherweise von vielen Einrichtungen nicht angeboten werden können.
Wie ist Ihre Prognose für die weiteren Entwicklungen im Bereich der Alzheimer-Therapie?
Die Alzheimer-Therapie steht am Beginn einer neuen Ära: Die neuen Amyloid-Antikörper sind wahrscheinlich erst der Anfang einer mechanistisch begründeten Kombinationstherapie. Bei einem tieferen Verständnis der molekularen Krankheitsmechanismen wird man evtl. Möglichkeiten entwickeln, die Amyloidablagerungen auch durch Tabletten zu beeinflussen. Nachfolgend wird man eventuell die Tauproteinablagerungen angehen können, und man wird hoffentlich zusätzlich Medikamente entwickeln, die vor der Zerstörung von Nervenzellen (Neurodegeneration) schützen. Die Art und Weise, wie diese Medikamente aufeinander abfolgen oder miteinander kombiniert werden, wird von Biomarkerkonstellationen abhängen und in diesem Sinne eine echte Präzisionstherapie sein.
Herr Professor Frölich, wir danken Ihnen für das Interview und Ihre Zeit.
Das Interview führten Dr. Katharina Bürger und Dr. Anna Dewenter.
Zur Person Prof. Lutz Frölich:
Lutz Frölich ist Psychiater, Psychotherapeut und klinischer Neurowissenschaftler und auf dem Gebiet der Demenzforschung und -versorgung tätig. Er ist Professor für Gerontopsychiatrie an der Universität Heidelberg und leitet die Abteilung für Gerontopsychiatrie am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim. Seine Forschungsinteressen liegen im Bereich der Biomarker- und Therapieforschung bei der Alzheimer-Krankheit und verwandten Demenzerkrankungen, einschließlich besonderer Expertise in klinischen Studien. Er ist Mitbegründer und Co-Vorsitzender des European Alzheimer Disease Consortium, Vorstandsmitglied des Deutschen Kompetenznetzes Demenz, Arbeitsgruppenleiter im Deutschen Netzwerks der Gedächtniskliniken und Fellow des Netzwerks Alternsforschung der Universität Heidelberg. Er war Mitbegründer und Vorstandsmitglied von drei regionalen deutschen Alzheimer-Gesellschaften.