06_2015
"Ein weiteres vielversprechendes Medikament gegen Alzheimer"
Seit vielen Jahren untersuchen Forscher weltweit die Alzheimer Erkrankung und ihre Ursachen. Basierend auf ihren Ergebnissen entwickeln Pharmafirmen Wirkstoffe, die diese Ursachen bekämpfen sollen. Der erste vielversprechende Durchbruch wurde mit der Entwicklung des Medikaments Aducanumab erreicht (Artikel 03_2015). Dieses Medikament richtet sich gezielt gegen Ablagerungen des körpereigenen Eiweißes Amyloid-beta (oft auch als Aß, sprich: Abeta, bezeichnet), welches schon lange im Verdacht steht, Alzheimer zu verursachen. Das Medikament bewirkt, dass diese Ablagerungen, auch Plaques genannt, im Gehirn von behandelten Patienten verringert werden. Dies wiederum führt dazu, dass sich die Gedächtnisleistung der Patienten nicht weiter verschlechtert. Daraus kann abgeleitet werden, dass Amyloid-beta Ablagerungen im Gehirn tatsächlich zu Alzheimer führen (siehe Artikel 03_2015). Die Entwicklung von Medikamenten, die genau diese Ablagerung verhindern oder gar rückgängig machen können, wird daher in Fachkreisen als sehr vielversprechend angesehen. Die amerikanische Firma Eli-Lilly hat nun ein Medikament entwickelt und vorgestellt, das wie Aducanumab gegen die Ablagerung von Amyloid beta wirkt. Es trägt den Namen Solanezumab (abgekürzt "Sola") und ist wie Aducanumab ein kleines Molekül der natürlichen Körperabwehr, das biotechnologisch hergestellt wurde und wie ein Impfstoff eingesetzt wird. Im Interview ordnet Prof. Dr. Dr.h.c. Christian Haass die Bedeutung des Medikaments für Betroffene ein.
Was unterscheidet dieses Medikament von anderen Medikamenten gegen Alzheimer, speziell auch von Aducanumab?
Vermutlich nicht all zu viel. Beide Impfstoffe richten sich gegen den giftigen Bestandteil der Plaques im Gehirn von Alzheimerpatienten. Die Plaques werden von einem kleinen giftigen Eiweiß, dem Amyloi- beta, gebildet. Die Antikörper des Impfstoffs binden an Amyloid-beta. Hierdurch werden speziellen Fresszellen des Gehirns angelockt, die dann Amyloid-beta und auch ganze Plaques regelrecht auffressen.
Welche Schritte muss das Medikament noch durchlaufen, bis es Patienten zur Verfügung steht?
Das lässt sich sehr schwer sagen. Die Gesamtlaufzeit der klinischen Untersuchung beträgt 3.5 Jahre. Entscheidend wird sein, ob der Impfstoff dauerhaft den Rückgang der Gedächtnisleistung stoppen kann und ob bei langer Behandlung, und daran werden wir nicht vorbeikommen, gefährliche Nebenwirkungen auftreten.
Welche Bedeutung hat der Erfolg des Medikaments für die Forschung, die Pharmaindustrie und Patienten?
Viele meiner Kollegen und ich selbst sind seit über 20 Jahren überzeugt, dass das Amyloid-beta die Erkrankung auslöst und dass eine medikamentöse Bekämpfung des Amyloids die Erkrankung zumindest verlangsamen sollte. Speziell in Deutschland können sich jedoch einige ewig gestrige Kliniker noch immer nicht mit dem Amyloid als Auslöser der Erkrankung anfreunden. Dabei gibt es eindeutige wissenschaftliche Erkenntnisse, die Amyloid als Krankheitsursache für Alzheimer belegen.
Den ersten Hinweis liefern Untersuchungen am Erbgut: Alle Erbgutveränderungen, die familiär vererbten Alzheimer auslösen, beschleunigen die Bildung und Verklumpung des Amyloids. Patienten mit Down-Syndrom entwickeln ab einem Alter von etwa 50 Jahren unausweichlich die Alzheimer Erkrankung. Der Grund hierfür ist folgender: Sie haben nicht nur zwei Kopien des Amyloidgens*, sondern drei Kopien. Daher wird zu viel von dem Nervengift, dem Amyloid, hergestellt. Ein weiteres zwingendes Argument ist folgendes: Auf Island und in Finnland wurden Familien gefunden, deren Mitglieder über Generationen hinweg ein sehr hohes Alter erreichten ohne jemals an Alzheimer zu erkranken. Was ist der Grund hierfür? Eine vererbte Erbgutveränderung verhindert die Amyloidproduktion!
All diese Argumente haben viele Kritiker der Amyloidhypothese immer noch nicht überzeugt. Sie kritisierten, dass anti-Amyloid Therapien bisher kläglich gescheitert sind. Das ist korrekt, allerdings wurden die Therapien in weit fortgeschrittenen Stadien der Krankheit durchgeführt. Kliniker haben daher aus den bisherigen Therapien gelernt, dass man mit der Bekämpfung der Erkrankung sehr früh in einem sehr milden Stadium beginnen muss. In den beiden jetzt bekannt gewordenen Studien wurde dieser Ansatz verfolgt. Tatsächlich hat nun die anti-Amyloid Impfung zu einer deutlichen Reduktion des Gedächtnisverlustes geführt. In der ersten Studie war dies Dosis-abhängig - je höher die Menge des Impfstoffes umso stärker war die Reduktion des Gedächtnisverlustes. Bei der zweiten Studie hat man Patienten erst einen unwirksamen Impfstoff gegeben. Während dieser Zeit verschlechterte sich das Gedächtnis fortwährend. Dann wurde der richtige Impfstoff gegeben. Dieser führte eindeutig zu einer Reduktion des Gedächtnisverlustes. Für die Pharmaindustrie und die Kliniker sollte dies nun der endgültige Beweis sein, dass Amyloid ursächlich an der Erkrankung beteiligt ist und dass uns seine Bekämpfung vor dem Gedächtnisverlust im Alter schützen kann. Natürlich spielen weitere Faktoren wie die neurofibrillären Bündel (ein weiteres pathologisches Kennzeichen der Alzheimer Erkrankung) auch eine entscheidende Rolle, aber deren Bildung wird durch das Amyloid induziert. Interessanter Weise gibt es ebenfalls Versuche, dieses zweite Übel mit einer Impfung zu stoppen.
Wir sollten die unsägliche Diskussion über die Ursachen der Erkrankung, die sowohl in der Pharmaindustrie, als auch bei Forschern, Politikern und Geldgebern zu erheblichen Irritationen geführt hat, endgültig einstellen und unsere Kräfte auf das wahre Ziel der Alzheimerforschung konzentrieren: die Menschheit vor dem Schrecken des Gedächtnisverlustes bewahren.
• Anmerkung: Ein Gen ist ein Abschnitt im Erbgut, der den Kode für ein bestimmtes Eiweiß enthält, quasi dessen Bauanleitung. Wird der Kode von der körpereigenen Eiweißproduktionsmaschinerie abgelesen, wird das Eiweiß produziert. Wenn ein Mensch mehr Gene als gewöhnlich besitzt, die für ein bestimmtes Eiweiß kodieren, führt dies zu vermehrter Produktion des Eiweißes.
Interview mit Prof. Dr. Dr.h.c. Christian Haass
(Interview und Textfassung: Katrin Strecker)