02_2022 - "Neue Hoffnung in der Alzheimer-Therapie - Lecanemab"

In letzter Zeit wecken Meldungen über ein neues Medikament in der Alzheimer-Therapie neue Hoffnung: Lecanemab – auch bekannt als BAN2401. Das Medikament wurde gemeinsam von den Arzneimittelherstellern Biogen und Eisai auf der Grundlage von Erkenntnissen aus jahrelanger Forschung von Lars Lannfelt von der Uppsala Universität in Schweden entwickelt. Im September 2022 wurden die Ergebnisse einer groß angelegten Studie bekannt gegeben, die erstmals eine Wirksamkeit eines neuen Präparates zur Behandlung der Alzheimer-Krankheit bestätigten.

Ärzte in Gedächtnisambulanzen und unsere Kollegen von der Alzheimer Gesellschaft München e.V. erhalten vermehrt die Frage, wann dieses Medikament in Deutschland zu Verfügung stehen wird. 

EinBlickDemenz hat mit Prof. Dr. Dr. h.c. Christian Haass und Frau PD Dr. Katharina Bürger über Lecanemab gesprochen.

Herr Prof. Haass: Was ist Lecanemab für ein Medikament und wie unterscheidet es sich von bereits zugelassenen Arzneimitteln gegen die Alzheimer-Erkrankung?

Lecanemab ist ein Antikörper, der gegen Amyloid gerichtet ist.  Amyloid ist der Hauptbestandteil der Plaques im Gehirn von Alzheimer-Patienten. Solche Antikörper erkennen die Plaques im Gehirn und locken Immunzellen an, die dann die Plaques regelrecht fressen.  Im Gegensatz zu allen bisher zugelassenen Medikamenten, greift der Antikörper direkt in die pathologischen Mechanismen der Erkrankung ein.

Seit der Zulassung der aktuell verfügbaren symptomatisch, nicht ursächlich wirkenden Medikamente der Alzheimer-Demenz gab es nur negative Studien mit neuen Alzheimer-Präparaten, viele Entwicklungen wurden eingestellt. Was ist anders bei Lecanemab? Warum konnte eine positive Wirkung nachgewiesen werden?

Es gibt eine ganze Reihe von Ursachen: Viele Medikamente haben nie ihr Zielmolekül im Gehirn erreicht und konnten damit nichts ausrichten; es wurden Nebenwirkungen beobachtet. Das Medikament wurde zu kurz, zu spät (die Krankheit beginnt schon bis zu 20 Jahre bevor der Arzt eine Demenz erkennen kann oder Patient selbst etwas merkt) oder zu niedrig dosiert eingesetzt.
 
Aktuell ist Lecanemab nur in Studien verabreicht worden. Was ist der aktuelle Forschungsstand?

Lecanemab reduziert die Plaques im Gehirn von Alzheimer um ca. 74%; gleichzeitig verlangsamt der Antikörper den schleichenden Gedächtnisverlust um ca. 27%; in Vorstudien wurden auch Biomarker, die den Nervenzellverlust anzeigen, reduziert.

Wann wird das Medikament in Deutschland zugelassen sein? 

Das kann ich schlecht beurteilen, geplant ist aber im Frühjahr 2023. 

Bringt uns die Studie mit Lecanemab neue Erkenntnisse bezüglich der heiß diskutierten Amyloidhypothese der Alzheimer-Krankheit?

Die Amyloidkaskade war ja seit Langem sehr umstritten und in den Medien oft mit nicht wenig Spott als widerlegt beschrieben.  Die Lecanemab-Ergebnisse zeigen aber nun, dass ein Medikament, das gezielt gegen Amyloid gerichtet ist und Plaques sehr effizient abräumt, den Gedächtnisverfall verlangsamt, und auch gleichzeitig weitere Komponenten der Kaskade wie das sog. Tau im Nervenwasser reduziert.  Damit haben Forscher den lang geforderten Nachweis für Amyloid als Auslöser der Amyloidkaskade nicht nur in Modellsystemen der Grundlagenforschung, sondern nun auch direkt am Alzheimer Patienten, erbracht.  Ich hoffe, dass sich damit nun die endlose Diskussion um Amyloid erledigt hat.

Wie wird nach Ihrer Einschätzung die Alzheimer-Therapie der Zukunft aussehen?

Man müsste so früh wie möglich mit einer einmaligen Gabe eines Antikörpers die Plaques massiv reduzieren und danach die erneute Amyloidproduktion möglichst niedrig halten.  Hierfür wären dann eher typische Medikamente, also chemisch leicht und billig herzustellende Substanzen, notwendig, die die Entstehung des Amyloids verhindern - es gibt also noch nach wie vor viel zu tun.

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Frau Dr. Bürger: Wie ist der Therapieeffekt für den Patienten einzuschätzen?

Lecanemab erbrachte eine Verbesserung um 0,5 Punkte auf einer insgesamt 18 Punkte umfassenden Skala, die neben dem Gedächtnis auch Orientierung, Alltagsfähigkeiten, soziale Kompetenzen erfasst. Der Effekt ist statistisch signifikant. Jeder Patient wird nach der Aufklärung über die Therapie, also auch mögliche Nebenwirkungen, die erforderlichen Sicherheitsuntersuchungen etc. für sich eine Nutzen-Risiko-Abwägung treffen müssen. Für mich ist das Ergebnis zu Lecanemab ganz klar ein Durchbruch in der Alzheimer-Therapie, aber dennoch „nur“ ein erster Schritt. Die Therapie wird für bestimmte Patienten in Frage kommen und genau überwacht werden müssen. Viele Fragen zur Verabreichung, z.B. Häufigkeit und Dauer, oder zukünftig auch Kombination mit weiteren neuen Therapien sind noch völlig offen.

Was ist über potenzielle Nebenwirkungen bekannt?

Alle Präparate aus der Gruppe der Anti-Amyloid-Antikörper wie Lecanemab können Wassereinlagerungen im Gehirn und kleine, aber auch größere Hirnblutungen verursachen. Diese Veränderungen erkennt man in der Kernspintomographie (MRT). Ihre Bezeichnung als „ARIA“ – amyloid-related-imaging abnormalities stammt daher. Sie bleiben in den meisten Fällen ohne Symptome, können aber zu Kopfschmerz, Schwindel oder auch zu Krampfanfällen oder Schlaganfall führen. Das ist extrem selten und wurde in den Studien weitgehend durch eine strenge Überwachung mit wiederholten Kernspinuntersuchungen frühzeitig erkannt und die Behandlung ab einer bestimmten Ausprägung zeitweise oder ganz gestoppt. Allein das meist symptomfreie Auftreten dieser ARIAs war mit ca. 20% bei Lecanemab seltener als bei anderen Vertretern dieser Präparategruppe. Inwiefern kleine symptomfreie Hirnblutungen, die unser Körper regelhaft nicht mehr aus dem Hirngewebe entfernen kann, langfristig ein Risiko darstellen, ist nicht bekannt.

An welche Patienten richtet sich Lecanemab?

Das Präparat ist untersucht an Patienten mit sehr milden Symptomen im Rahmen einer leichten Alzheimer-Krankheit. Man nennt diese Stadien der Erkrankung leichte kognitive Störung und leichte Demenz. Es ist wichtig zu betonen, dass es (noch) nicht vorbeugend eingesetzt wird. In Testungen der Hirnleistung müssen Defizite nachweisbar sein. Ab der mittelgradigen Alzheimer-Demenz ist nicht mehr mit einer Wirkung zu rechnen.

Vor dem Hintergrund der erwähnten potenziellen Nebenwirkungen werden Begleiterkrankungen und –medikation zu beachten sein, z.B. könnte die Einnahme von blutverdünnenden Medikamenten ein Problem darstellen. Weiterhin könnte es schwierig sein bei Menschen z.B. mit einem Herzschrittmacher, weil damit die erforderlichen MRT-Untersuchungen zur Überwachung der Therapie unmöglich oder nur kompliziert umsetzbar sind. Diesbezüglich müssen wir auf die Formulierung der Zulassung des Präparates warten.


Das Interview führte Anna Dewenter.

Zur Person Prof. Dr. Dr. h.c. Christian Haass:

Als Standortleiter des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) München, Koordinator des SyNergy Cluster und Institutsleiter des Adolf-Butenandt Instituts für Stoffwechselbiochemie beschäftigt sich Prof. Christian Haass mit dem molekularen Mechanismen der Alzheimer Erkrankung, Frontotemporaler Demenz und Amyotropher Lateralsklerose.
Für die Erkenntnisse seiner wissenschaftlichen Arbeit wurde er mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet unter anderem dem Gottfried Wilhelm Leibniz Preis sowie dem Bundesverdienstkreuz am Bande. 

Zur Person Frau Dr. Katharina Bürger:

Privatdozentin Dr. Katharina Bürger (*1968) studierte Medizin an der Ludwig Maximilians Universität (LMU) München. Ihre Ausbildung zur Fachärztin für Psychatrie und Psychotherapie begann sie am Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München bei Herrn Prof. Lauter und Herrn Prof. Kurz, wo sie auch promovierte. Unter der Supervision von Frau Bayer-Feldmann, langjährige erste Vorsitzende der Alzheimer Gesellschaft München e.V., begleitete sie Angehörigengruppen von Demenzkranken und wurde Mitglied der AGM. 1997 wechselte sie in die Psychiatrische Klinik der LMU. Dort schloss sie ihre Facharztausbildung ab und habilitierte zum Thema Biomarker der Alzheimer Krankheit.

Ab 2007 war sie Oberärztin der Demenzforschungsstation und des Alzheimer Gedächtnis Zentrums der Psychiatrischen Klinik. Seit 2009 ist sie Oberärztin der Gedächtnisambulanz des Instituts für Schlaganfall- und Demenzforschung (ISD), LMU Klinikum, Campus Großhadern. Sie ist als Prüfärztin an zahlreichen wissenschaftlichen Studien, vor allem des DZNE (Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen) und des ISD sowie internationalen Medikamentenprüfungen beteiligt. Seit 2015 ist sie ehrenamtlich erste Vorsitzende der Alzheimer Gesellschaft München e.V. 

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