01_2022 - „Aufsehenerregende“ Ansätze der Alzheimer-Therapie

In schöner Regelmäßigkeit werden neue Therapiestrategien gegen die Alzheimer-Krankheit propagiert und damit Hoffnungen bei den Patienten und ihren Familien geweckt. Ärzte, die Patienten zum Beispiel in Gedächtnisambulanzen betreuen, oder die Alzheimer Gesellschaft erfahren in der Regel nicht durch Fachzeitschriften, sondern durch gehäufte Anfragen von Patienten und Angehörigen, was in der Laienpresse aktuell berichtet wird.
 

Herr Dr. med. Werner Bartens ist Mediziner und Leitender Redakteur für Gesundheit und Medizin der Süddeutschen Zeitung. Wir haben mit ihm über die neuesten Meldungen auf dem Alzheimer-Therapiesektor gesprochen.
 

Herr Dr. Bartens, aktuell möchten Meldungen über Heilung von Alzheimer durch transkranielle Pulsstimulation (TPS) oder eine Therapie mit Sildenafil (Viagra) Hoffnungen wecken und möglicherweise auch Patienten gewinnen. Vor einigen Jahren war es polnisches Schafsfett, Kokosöl wird auch immer mal wieder angefragt.
 

Wie überprüfen Sie die Seriosität, wenn derartige Meldungen die Runde machen? 
 

Es geht nicht primär um die Aussage einer Studie und steile Behauptungen, die darin verbreitet werden, sondern um die Methodik. Wenn ich Studien lese, halte ich mich an Kriterien der Evidenzbasierten Medizin (EbM), also wissenschaftlich geprüfte Studien. Oft ist aber schon auf den ersten Blick zu erkennen, dass etwas faul ist und nicht seriös. Mal ist die Teilnehmerzahl zu klein, mal der Beobachtungszeitraum zu kurz, dann eine Vergleichsgruppe nicht vorhanden oder falsch gewählt – es gibt nicht nur „Fifty ways to leave your Lover“ („fünfzig Wege einen Liebenden zu verlassen“), sondern ähnlich viele Wege, in Studien zu tricksen.
 

Was ist von den genannten Ansätzen zu halten?
 

Nehmen wir das Beispiel Viagra als Schutz vor Demenz. Die Untersuchung weist etliche Schwächen auf. Erstens: Die Wissenschaftler beschreiben lediglich eine wechselseitige Beziehung (Korrelation), keine Zusammenhänge aus Ursache und Wirkung (Kausalität). Zweitens betrug der Beobachtungszeitraum sechs Jahre, was für eine lange fortschreitende Erkrankung wie Alzheimer-Demenz kurz ist. Drittens könnten Unterschiede in Einkommen und Bildung die Differenzen erklären; die Zugehörigkeit zu einer sozioökonomisch höheren Schicht geht mit höherem Viagra-Konsum wie auch mit geringerem Alzheimer-Risiko einher. Viertens sind Versicherungsdaten, wie hier benutzt, oft ungenau. Fünftens haben Frauen ein größeres Risiko für Alzheimer, ihr Anteil an der Studie war aber naturgemäß gering. Sechstens ist bei beginnender Demenz die Libido verringert, sodass Betroffene seltener Viagra nachfragen, was die Studie verzerren könnte. Oder nehmen wir die Transkranielle Pulsstimulation (TPS) – die mit Ultraschall gezielt die Hirnrinde stimulieren soll. Die einzige Studie schloss nur 35 Patienten ein, es gab kein einheitliches Stimulationsschema – auf dieser Basis kann man eine Therapie nicht empfehlen.
 

Haben Sie einen Rat für unsere Leser, wie sie Meldungen über „Durchbrüche“ in der Alzheimer-Therapie besser beurteilen können? Gibt es z.B. „Reizworte“, die misstrauisch machen sollten?
 

Durchbrüche gibt es nur im Magen-Darm-Trakt und ganz selten in der Wissenschaft. Alles, was als „Durchbruch“, „Sensation“, „Game-Changer“, „Weltneuheit“ oder „Revolution in der XY-Therapie“ beworben wird, ist erstmal mit Skepsis zu betrachten. Und dann: Werkzeugkasten raus und die Methoden der EbM anwenden. Oft geht es einem wie im Märchen von des Kaisers neuen Kleidern – man muss über manche Studien dann leider sagen: „Der hat ja gar nichts an.“
 

Gibt es für Sie ethische Aspekte der Berichterstattung zu neuen Therapien?
 

Grundsätzlich versuche ich nur über klinische Studien zu berichten, die in der Phase III, das ist die letzte Phase vor der Zulassung eines neuen Medikamentes, oder weiter sind. Und auch dann ist es wichtig, die Einschränkungen mitzuteilen und die Ergebnisse in den Forschungsstand einzuordnen. Wenn über Studien der Phase I oder II berichtet wird, weil der Ansatz so interessant ist, dann muss kenntlich gemacht werden, wie vorläufig das ist und dass es noch viele Vorbehalte gibt. Große Vorsicht gilt auch für Labor- und Tierstudien – Mice tell lies (Mäuse lügen).

Update Aducanumab

Sie haben dargelegt, dass die Wirksamkeit von Medikamenten und Therapien generell nur in Studien mit aussagekräftigem Design und ausreichender Patientenzahl nachgewiesen werden können. Die europäische Behörde hat nun kürzlich die Zulassung von Aducanumab abgelehnt, das in den USA seit Mitte letzten Jahres verfügbar ist (EinBlickDemenz berichtete in zwei Beiträgen: >>02-2021 und >>04-2021). 

Wie ist diese Entscheidung einzuordnen?

Die Zulassung durch die FDA sehe ich kritisch, da in den erwähnten Studien mit Ersatz (Surrogat)-Parametern wie der Amyloid-„Entsorgung“ im Gehirn gearbeitet wurde. Solche Ersatzkriterien führen oft in die Irre, da sie nicht immer den klinischen Nutzen widerspiegeln und oft sogar enttäuschend abschneiden, wenn es um Vorteile für Patienten geht. Insofern finde ich die Ablehnung durch europäische Behörden angemessen. Patienten und ihren Angehörigen sollten keine falschen Hoffnungen gemacht werden, zumal die Nebenwirkungen des Präparats erheblich sein können.

Herr Dr. Bartens, wir danken für die Informationen.

Das Interview führte Frau Dr. Katharina Bürger, Oberärztin am Institut für Schlaganfall- und Demenzforschung des LMU Klinikums, Campus Großhadern.

Zur Person Dr. med. Werner Bartens:

Werner Bartens, 1966 in Göttingen geboren, ist der „Medizinmann“ der SZ. Thematisch sowieso – und oft für Kollegen, die mit ihren Zipperlein auf sein gelbes Sofa kommen. Studium der Medizin, Geschichte, Germanistik in Gießen, Freiburg, Montpellier, Washington D.C. Nach US-Examen Medizin (1992) Forschungsstipendiat an den Nationalen Gesundheitsinstituten (NIH) in Bethesda (USA). 1993 Staatsexamen Medizin in Freiburg und Promotion zum Dr. med. 1995 Magisterexamen in Deutsch und Geschichte. Bartens arbeitete als Arzt in der Inneren Medizin an den Unikliniken Freiburg und Würzburg, anschließend Stipendiat am MPI für Immunbiologie Freiburg (Arbeitsgruppe des Nobelpreisträgers Georges Köhler). Seit 1997 Buchautor, Übersetzer, Autor einer WDR-Seifenoper und tätig für SZ, ZEIT, FAZ und taz. Von 2000 bis 2005 Redakteur für Reportage der Badischen Zeitung; zudem Mitarbeit bei SZ, ZEIT, taz. Seit 2005 ist Bartens Redakteur im Ressort Wissen der SZ, seit 2008 Leitender Redakteur. Er hat mehr als 20 Sachbücher veröffentlicht, darunter Bestseller wie "Das Lexikon der Medizin-Irrtümer", "Körperglück", "Heillose Zustände", "Lob der langen Liebe" und „Ist das Medizin – oder kann das weg?“. Bartens ist zu Fragen der Medizin oft im Fernsehen zu Gast. Er wurde vielfach mit Journalistenpreisen geehrt und 2009 als "Wissenschaftsjournalist des Jahres" ausgezeichnet. >>Weitere Infos! 

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