03_2021 "Biomarker und Alzheimer"

Lieber Herr Professor Ewers, lieber Herr Dr. Franzmeier,

im Gespräch mit den Patienten verwendete medizinische Fachbegriffe sind nicht immer einfach zu beschreiben. Darum wollen wir heute erklären, was Biomarker im Zusammenhang mit der Alzheimer Erkrankung sind.

Was versteht man unter einem biologischen Marker („Biomarker“) der Alzheimer-Krankheit?

Unter einem Biomarker verstehen wir messbare biologische Parameter (v.a.  Laborparameter, bildgebende Verfahren), die einen Hinweis auf einen krankhaften Prozess im Körper geben. Im Kontext der Alzheimer Krankheit fokussieren wir daher vor allem auf Biomarker, welche die Alzheimer-typischen Gehirnveränderungen erfassen. Wir wissen ja mittlerweile sehr gut, dass sich bei der Alzheimer Krankheit zunächst das Amyloid-beta (Aβ) im Gehirn ansammelt, gefolgt von der Ausbreitung von Tau, beides körpereigene, krankhaft veränderte Eiweiße. Wenn diese Prozesse längere Zeit im Gehirn abgelaufen sind, kann das zum Absterben der Nervenzellen und Hirnleistungsstörungen führen, wie beispielsweise Gedächtnisstörungen.

Biomarker für die Ansammlung von Aβ und Tau sowie das Absterben der Nervenzellen im Gehirn können heute mittels verschiedener Methoden erhoben werden, z.B. mit bildgebenden Verfahren (Positronen-Emissionstomographie, Magnetresonanztomographie) oder Untersuchungen der betreffenden Eiweißkonzentrationen im Nervenwasser. Diese Methoden sind heute zwar gut etabliert, jedoch auch relativ aufwendig, teuer und daher zumeist spezialisierten Zentren und Universitätskliniken vorbehalten. Neuere Forschungsarbeiten konnten aber erfreulicherweise zeigen, dass Biomarker der Alzheimer Erkrankung auch im Blut nachweisbar sind, was natürlich eine viel breitere Anwendung ermöglichen würde, denkbar als Screening-Untersuchung beim Hausarzt.


Wofür brauchen wir Biomarker bei der Alzheimer-Krankheit?

Biomarker sind heute in der Diagnostik und Erforschung der Alzheimer Krankheit unabdingbar. Denn die Alzheimer Erkrankung wird nach aktuellem Stand der Wissenschaft nicht mehr nur durch das Vorliegen von Gedächtnisstörungen und weiterer Hirnleistungsstörungen definiert, sondern durch das Vorliegen abnormer Ansammlungen der Eiweiße Aβ und Tau im Gehirn. Wir erfassen die Alzheimer Krankheit heute neben den Symptomen über veränderte Biomarker, so wie es bei vielen anderen Krankheiten, wie Diabetes, üblich ist. Gedächtnisstörungen oder andere Hirnleistungsstörungen können ja im Alter durch viele verschiedene Erkrankungen bzw. Hirnveränderungen bedingt sein. Biomarker sind also für den Arzt oder die Ärztin diagnostisch wegweisend, um festzustellen, ob Hirnleistungsstörungen im Alter tatsächlich auf das Vorliegen der Alzheimer Krankheit rückführbar sind. Zudem lassen sich Effekte neuer Therapieansätze anhand von Biomarkern abbilden und überprüfen. Dieser Anwendungsbereich von Biomarkern wird zukünftig von größter Bedeutung sein. Weiterhin ist absehbar, dass zukünftig mit Biomarkern Vorhersagen für den individuellen Krankheitsverlauf möglich werden. 

Kann man anhand von Biomarkern Alzheimer feststellen oder ausschließen? 

Wenn die Untersuchung von Biomarkern weder Anzeichen für abnormes Aβ oder Tau im Gehirn aufweist, können wir heute relativ sicher sagen, dass ein Patient/eine Patientin nicht an der Alzheimer Krankheit leidet und ggf. vorliegende Symptome daher nicht durch Alzheimer bedingt sind. Umgekehrt bedeutet es aber nicht, dass bei Vorliegen abnormer Biomarkerwerte zwingend die Entwicklung einer Demenz erfolgt, insbesondere wenn noch keinerlei mentale Einbußen festzustellen sind. Wir wissen, dass Alzheimer-typische Hirnveränderungen bis zu 20 Jahre vor dem Auftreten der ersten Symptome entstehen, weshalb wir heute vom Alzheimer Kontinuum sprechen, bei dem die Demenz eher das Endstadium darstellt und die Krankheit zuvor lange klinisch „stumm“ bleibt. Ein mit der Alzheimer Erkrankung vereinbarer Biomarkerstatus ist also nicht zwingend gleichzusetzen mit dem unmittelbaren Fortschreiten von Symptomen. Hier konnte man mittlerweile recht überzeugend zeigen, dass v.a. abnorm erhöhte Konzentrationen des Alzheimer-typischen Tau-Eiweißes im Gehirn ein schnelleres Fortschreiten der Erkrankung vorhersagen. Umgekehrt gibt es aber auch Faktoren, die die Widerstandsfähigkeit des Gehirns erhöhen. So genannte Resilienzfaktoren, wie z.B. körperliche und geistige Aktivität, können auch bei fortschreitender Krankheit das Auftreten dementieller Symptome hinauszögern. Es wird daher heute intensiv erforscht, welche Faktoren neben den Biomarkern der Alzheimer Krankheit die Prognose über die zukünftige mentale Verschlechterung verbessern.


Brauchen wir überhaupt noch die ärztliche Untersuchung und Hirnleistungstests?

Die ärztliche und neuropsychologische Untersuchung stellt neben Biomarkern sehr wichtige Säulen in der Diagnostik von degenerativen Hirnerkrankungen dar. Hier wird sich zunächst ein umfassendes Bild vom Patienten und seinen Beschwerden, gemacht um zu sehen, ob tatsächlich objektivierbare Hirnleistungsstörungen vorliegen, die über das normale Altern hinausgehen. Anhand des Hirnleistungsprofils und der körperlichen Untersuchung wird dann versucht, das Symptomprofil differenzialdiagnostisch einer möglichen zu Grunde liegenden Erkrankung zuzuordnen. Denn es gibt ja nicht nur die Alzheimer Krankheit, sondern noch zahlreiche andere Erkrankungen, die im Alter zu Hirnleistungsstörungen führen können wie die Frontotemporale Demenz, chronische Gefäßschädigung, die Lewy-Körperchen Erkrankung, Parkinson oder Stoffwechselerkrankungen. Wenn der Arzt auf Grund der ärztlichen und neuropsychologischen Untersuchung den Verdacht hat, ein Patient könnte an der Alzheimer Krankheit leiden, werden im weiteren Verlauf Biomarker bestimmt, um die Diagnose ggf. zu bestätigen und eine entsprechende Behandlung einzuleiten.  


Wann können wir Alzheimer aus Blutproben feststellen?

Es gibt mittlerweile zahlreiche hochrangig publizierte Forschungsarbeiten, die sehr robust zeigen konnten, dass sich Alzheimer-typische Gehirnveränderungen im Blut nachweisen lassen. Bis diese Blut-Biomarker ausreichend getestet und großflächig verfügbar sind, wird es aber noch einige Jahre dauern.


Gibt es Biomarker für andere Demenzerkrankungen?

An Biomarkern für andere degenerative Hirnerkrankungen wird sehr intensiv geforscht und es gibt zahlreiche vielversprechende Ansätze, um die spezifischen Charakteristika von demenziellen Hirnerkrankungen sicht- und messbar zu machen, bspw. mittels bildgebender Verfahren oder der Analyse von Nervenwasser oder Blutproben. In vielen Fällen hilft bereits die Symptomatik der Erkrankung zur diagnostischen Einordnung und Abgrenzung zur Alzheimer-Krankheit, wenn zum Beispiel ein sog. Idiopathisches Parkinson-Syndrom vorliegt. Bei jung erkrankten Demenzpatienten (Alter <65 Jahre) ist nach der Alzheimer-Krankheit die Frontotemporale Demenz die häufigste Ursache. Hier helfen bereits heute die verfügbaren Biomarker aus Nervenwasser und Bildgebung (PET) bei der Diagnosestellung, die allerdings spezialisierten Zentren und Gedächtnisambulanzen vorbehalten sind. Weitere Verfahren werden erforscht und sind daher noch nicht in der breiteren klinischen Anwendung. Wir sind jedoch zuversichtlich, dass die Forschung auch hier in den nächsten Jahren weitere Fortschritte machen wird.   


Es wurde immer wieder gesagt und geschrieben, dass die Diagnose einer Alzheimer-Krankheit mit Sicherheit erst nach dem Tod eines Patienten durch eine feingewebliche Untersuchung des Gehirns festgestellt werden kann. Gilt das immer noch?

Das war sicherlich eine über lange Zeit zutreffende Aussage. Mit der Entwicklung von spezifischen Alzheimer Biomarkern lässt sich aber heute sehr gut auch beim Lebenden das Vorliegen der Alzheimer-typischen Hirnveränderungen erfassen. Denn Biomarker, wie bspw. Positronen-Emissionstomographie für Aβ und Tau, sind ja mittlerweile gut anhand von feingeweblichen „Gold-standard“ Untersuchungen validiert. Ganz streng genommen kann man die mikroskopischen Hirnveränderungen, wie sie einst Alois Alzheimer beschrieben hat, aber natürlich erst nach dem Tod wirklich final bestätigen. Die Diagnose Alzheimer selbst lässt sich jedoch mit heutigen Biomarkern auch zu Lebzeiten stellen.

 

Herzlichen Dank für das Gespräch.

Das Gespräch führte Frau Dr. Katharina Bürger, Oberärztin am Institut für Schlaganfall- und Demenzforschung des LMU Klinikums, Campus Großhadern

Zur Person Herr Prof. Dr. Michael Ewers:

Prof. Dr. Ewers ist ein international renommierter Wissenschaftler mit über 120 Publikationen im Bereich der Alzheimer Forschung. Prof. Ewers ist seit 2012 Leiter der Arbeitsgruppe Bildgebung und Biomarker am Institut für Schlaganfall- und Demenzforschung, LMU Klinikum München. Zudem beteiligt er sich an Studien des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE). Frühere Forschungsstationen am Trinity College Dublin, Irland, sowie der University of California San Francisco, USA. Sein international vernetztes Forschungsprogramm hat maßgeblich zur Entwicklung von Biomarkern zur Früherkennung der Alzheimer Krankheit sowie der Identifizierung von Resilienzfaktoren zur Demenzprävention beigetragen.

Zur Person Herr Dr. Nicolai Franzmeier:

Dr. Nicolai Franzmeier studierte von 2009-2014 Psychologie und Medizin in Innsbruck und promovierte anschließend bis 2017 in der Arbeitsgruppe von Prof. Ewers zu kognitiver Reserve und Resilienzfaktoren bei der Alzheimer Krankheit an der Graduate School for Systemic Neurosciences der LMU in München.

Bis 2020 arbeitete er als Post-Doktorand in der Gruppe von Prof. Ewers und ist seit Januar 2021 Nachwuchsgruppenleiter am Institut für Schlaganfall- und Demenzforschung des Klinikums der Universität München, wo er zu Biomarker-basierten Prognosemodellen bei die Alzheimer Krankheit forscht.

Seine Forschungsergebnisse zur Darstellung des Verlaufs der Alzheimer Krankheit in vivo mittels bildgebenden Verfahren wurden mit mehreren Forschungspreisen ausgezeichnet und sind international hochrangig publiziert.

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