02_2021 "Wieder Hoffnung? – Alzheimer Medikament Aducanumab"
In Deutschland leben aktuell ca. 1.6 Millionen Menschen mit einer Demenzerkrankung und es werden steigende Zahlen für die Zukunft prognostiziert. Ca. 70% davon sind durch die Alzheimer-Krankheit verursacht. Darum verwundert es nicht, dass weltweite Forschungen sich mit neuen therapeutischen Ansätzen beschäftigen. Leider wurden in den letzten 20 Jahren keine neuen, ursächlich wirkenden Medikamente zugelassen. Als im März 2015 auf einer internationalen Konferenz in Nizza die Firma Biogen erste Ergebnisse einer klinischen Studie vorstellte, sprach man von einem Durchbruch in der Therapieforschung bei Alzheimer. Die Erkrankten und deren Familien bekamen große Hoffnung, nun doch medizinisch etwas tun zu können, um das Leben mit der Erkrankung zu verbessern oder sogar den Verlauf zu stoppen. Vor allem Erkrankte im frühen Stadium der Demenz schöpften Mut etwas gegen das Fortschreiten der Erkrankung tun zu können.
Nach weiteren Studienergebnissen gab es 2019 die ernüchternde Nachricht, dass Aducanumab die erwünschten Ziele verfehlte und die Studie eingestellt wurde. Alle Hoffnungen auf eine zeitnahe Therapie vieler Betroffener wurde zerschlagen.
Fast 7 Monate nach dieser Nachricht korrigierte Biogen seine Aussagen. Scheinbar gab es nun doch eine nennenswerte Verbesserung der kognitiven Leistungsfähigkeit und eine Freigabe des Medikamentes wurde in den USA beantragt.
Am 7. Juni 2021 erteilte die amerikanische Behörde (US-Amerikanische „Food and Drug Administration“, FDA) die Zulassung. Gleichzeitig wurde der Hersteller Biogen damit beauftragt, nach der Zulassung eine weitere Studie durchzuführen, um den Nutzen des Medikaments weiter zu überprüfen.
Diese Entscheidung gibt Betroffenen und ihren Familien wieder Hoffnung, dass die mit der Krankheit verbundenen kognitiven und funktionellen Beeinträchtigungen verlangsamt werden können. Aber es bleiben, aufgrund der vielen widersprüchlichen Aussagen, große Unsicherheiten um die Wirksamkeit der Therapie und den wirklichen Nutzen für die Betroffenen.
Zur weiteren Klärung zum Präparat sprachen wir mit Herrn Prof. Lichtenthaler und Frau Dr. Bürger.
Herr Professor Lichtenthaler, wie wirkt Aducanumab?
Aducanumab ist ein sogenannter monoklonaler Antikörper. Er stimuliert die zelluläre Müllabfuhr, so dass bestimmte Eiweißverklumpungen im Gehirn, die schädlich sind und die Alzheimer-Krankheit auslösen, auf natürliche Weise entsorgt werden können. Die Verklumpungen bestehen aus einem Eiweiß-Bruchstück, das Amyloid genannt wird und ganz natürlich in unserem Gehirn gebildet, aber auch wieder abgebaut wird. Wenn wir altern, funktionieren verschiedene Prozesse in unserem Körper nicht mehr so effizient wie in jungen Jahren. Das trifft auch auf die zelluläre Müllabfuhr zu, so dass der Amyloid-Abbau verlangsamt wird und es zu einer erhöhten Amyloid-Konzentration im Gehirn kommt. Als Folge davon fängt das Amyloid an, Verklumpungen zu bilden, die die Nervenzellen schädigen, was letztlich zum Auftreten der Symptome der Alzheimer-Krankheit führt. Aducanumab kann genau diese Amyloid-Verklumpungen erkennen und der Entsorgung zuführen. Daher führt die Behandlung mit Aducanumab zu einer deutlichen Abnahme der Amyloid-Verklumpungen im Gehirn, was mit bildgebenden Verfahren, dem sogenannten PET-Scan, nachgewiesen werden kann.
Warum wurde das umstrittene Präparat zugelassen?
In zwei großen klinischen Studien wurde die Wirksamkeit von Aducanumab getestet. In beiden Studien hat Aducanumab wie erhofft zu einer deutlichen Abnahme von Amyloid im Gehirn geführt. Für den Alzheimer-Patienten ist es aber wichtig, dass nicht nur das Amyloid im Gehirn verringert wird, sondern sich auch der klinische Verlauf der Erkrankung verlangsamt oder gar gestoppt wird. Genau daran wurden die beiden Studien gemessen. In einer Zwischenanalyse verfehlte Aducanumab dieses Ziel, daher wurden beide Studien abgebrochen. Im Verlauf wurden doch noch weitere Daten zur Auswertung verfügbar. Diese zeigten eine Verlangsamung des Fortschreitens der Erkrankung in der einen Studie, aber nicht in der anderen. Beide Studien waren nicht im Detail identisch. In der erfolgreichen Studie wurden insgesamt mehr Patienten für längere Zeit mit der hohen Dosis Aducanumab behandelt. Daher wird angenommen, dass wohl nur die hohe Dosis zu einer Verlangsamung der Zunahme der Symptome führt. Wenn man sich in der zweiten Studie, die nicht erfolgreich war, nur diejenigen Patienten anschaut, die die hohe Dosis bekommen haben, scheint auch bei diesen ein positiver Effekt aufgetreten zu sein. Normalerweise werden zwei erfolgreiche Studien vor der Zulassung eines Medikaments erwartet. Da für Aducanumab zwei abgebrochene Studien vorlagen, von denen nur eine Studie erfolgreich war, wurde das Präparat nur vorläufig zugelassen. Bis 2029 müssen die Behandlungsdaten nach der Zulassung sorgfältig ausgewertet werden. Wenn sich dann eine Verlangsamung des klinischen Fortschreitens der Alzheimer-Krankheit durch Aducanumab bestätigt, ist das ein großer Erfolg. Anderenfalls kann dem Medikament die Zulassung wieder entzogen werden. Da es bisher kein anderes Medikament zur ursächlichen Behandlung der Alzheimer-Krankheit gibt, ist die vorzeitige Zulassung sicher vom Wunsch getragen, den Millionen Alzheimer Patienten endlich etwas anbieten zu können.
Wie bewerten Sie als Wissenschaftler die Zulassung des Präparates?
Es ist großartig, dass es nach vielen Jahren und Jahrzehnten intensiver Forschung jetzt das erste Präparat gibt, das die Ursachen der Alzheimer-Krankheit bekämpfen kann. Ich hätte mir aber vor der Zulassung eine weitere klinische Studie und zwar mit der hohen Dosis Aducanumab gewünscht. Im Fall eines Erfolges wäre ich von der Wirksamkeit vollständig überzeugt. Ich bin bei der Beurteilung etwas vorsichtiger als die amerikanische Zulassungsbehörde, weil die Behandlung mit Aducanumab in einigen Fällen auch zu erheblichen Nebenwirkungen führen kann und ich deshalb vor der Zulassung restlos von der Wirksamkeit überzeugt sein möchte. Dann sind die Nebenwirkungen eher akzeptabel.
Ein zweiter Punkt ist die Frage, wie stark Aducanumab das Fortschreiten der Symptome verlangsamt. In der erfolgreichen Studie war der Effekt klar zu messen, aber er war nicht so groß, dass er den Krankheitsprozess hätte stoppen können. Ich bin überzeugt, dass Aducanumab eine noch viel größere Wirkung hätte, wenn es zur Vorbeugung eingesetzt würde bei Menschen, die zwar noch keine Symptome haben, diese aber in den nächsten 5-10 Jahren entwickeln werden. Es gibt mittlerweile diagnostische Verfahren für solche Vorhersagen, aber weitere klinische Studien sind notwendig, um Aducanumab für die Vorbeugung zulassen zu können.
Was bedeutet die Zulassung für Alzheimer-Patienten in Deutschland?
Für diejenigen, die sich in einem ganz frühen Stadium der Krankheit befinden, bedeutet die Zulassung von Aducanumab die Hoffnung auf einen langsameren Krankheitsverlauf und darauf, länger selbständig dem gewohnten Leben nachgehen zu können. Das ist ein großartiger Ausblick für diese Erkrankung, bei der es bisher keine Medikamente gab, die den Krankheitsverlauf verlangsamen konnten. Allerdings wird das Medikament in Europa frühestens Ende dieses Jahres zugelassen, so dass noch Geduld angebracht ist. Neben Aducanumab sind derzeit zahlreiche ähnliche Antikörper in klinischen Tests, die ebenfalls darauf abzielen, den Krankheitsverlauf zu stoppen bzw. zu verlangsamen. In diesem Sinne ist Aducanumab ein erster Schritt zur effizienten Behandlung der Alzheimer-Krankheit, dem noch weitere folgen werden. Daran arbeiten wir derzeit intensiv und interdisziplinär am DZNE, dem Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen. Ich bin überzeugt, dass wir in ein paar Jahren mehrere Medikamente haben werden, die bei einem frühzeitigen Einsatz den Verlauf der Alzheimer Krankheit deutlich verlangsamen und damit einen erheblichen Zugewinn für die Patienten bringen werden.
Frau Dr. Bürger, welche Erfahrungen haben Sie mit der Anwendung von Aducanumab?
Die Gedächtnisambulanz des Instituts für Schlaganfall- und Demenzforschung am LMU Klinikum war eines von 29 Zentren in Deutschland, die im Rahmen der erwähnten internationalen Phase III Studien Patienten mit Aducanumab behandelt haben. Es gibt in Deutschland also wenige Zentren, die Erfahrungen mit dem Präparat haben. In Deutschland haben nur 19 Ärzte und ihre Teams 5 oder mehr Patienten behandelt, an unserem Zentrum waren es 21 Patienten. Aufgrund schwerwiegender Nebenwirkungen des Präparates mußten bei uns zwei Patienten die Studienteilnahme beenden. Für die Behandlung war ein großes Team erforderlich: die behandelnden Ärzte und das Pflegepersonal, Rater für Hirnleistungstests, speziell geschulte Radiologen für die MRTs und Nuklearmediziner für die PET-Untersuchungen. Auch für den Einsatz in der Praxis wird man zunächst die genannten Spezialisten brauchen.
Es gab zwei Studienabschnitte, jeweils über 1,5 Jahre. Im ersten Abschnitt erhielt ein Drittel der Patienten ein Scheinpräparat, im zweiten Abschnitt erhielten alle Teilnehmer den Wirkstoff.
Das Präparat wurde als Infusion alle vier Wochen über eine Stunde verabreicht mit anfänglicher Nachbeobachtung von einer weiteren Stunde. Die zeitaufwendige Verabreichung war in unserem Zentrum mit keinerlei Komplikationen verbunden.
Weiterhin waren die Untersuchungen zur Patientensicherheit sehr umfangreich. Besonders zu erwähnen sind 7 MRT-Untersuchungen des Kopfes für jeden Studienabschnitt, also insgesamt 14 MRTs.
Aktuell läuft die Nachfolgestudie nur für Patienten der abgebrochenen Studien. Bei uns sind noch 5 Patienten in der Lage gewesen erneut teilzunehmen. In dieser 2-Jahresstudie sind 9 MRTs vorgesehen.
Wie bewerten Sie als Ärztin Chancen und Risiken des Präparates?
Aus den gestoppten Studien gibt es Anhaltspunkte auf die Wirksamkeit des Präparates. Es ist völlig unstrittig, dass wir dringend neue Therapien gegen die Alzheimer-Krankheit brauchen. Es wäre fatal, wenn ein potentiell wirksames Präparat nicht weiterentwickelt und verfügbar gemacht würde.
Man kann es kritisch diskutieren, dass die Zulassung der FDA jetzt aufgrund des biologischen Befundes einer Abnahme des Alzheimer-Amyloid im Gehirn erfolgte, weil diese Herangehensweise von der FDA bisher immer abgelehnt worden war. Sie hatte bis zuletzt auf einen Effekt auf der Symptomebene, z.B. in Hirnleistungstests bestanden. Zudem fand eine große Analyse unter Berücksichtigung von 14 vergleichbaren Vorgängerstudien mit Anti-Amyloid-Wirkstoffen keinen Effekt auf die Krankheitssymptome - trotz einer Reduktion von Amyloid. Dennoch ist die biologische Begründung der Zulassung ein Signal in Richtung eines Umdenkens bei der FDA, die für die zukünftige Entwicklung von Alzheimer-Medikamenten wegweisend sein könnte. Aber auch hier gibt es eine Kehrseite der Medaille, wie die neuesten Meldungen vom 24. Juni zeigen. Die Firma Lilly möchte nun auch vorzeitig die Zulassung für ihr noch mitten in der Prüfung befindliches Präparat Donanemab beantragen. Manche Experten hatten einen „Dammbruch“ vorausgesagt, der dazu führen würde, dass nun auch weitere Präparate ohne ausreichende Datenlage auf Basis des Nachweises einer Amyloidreduktion auf den Markt drängen würden. Wo soll die FDA jetzt noch die Grenze setzen, nachdem sie ihre eigenen Qualitätsstandards auf einmal so deutlich verändert hat?
Die Risiken des Präparates liegen in den möglichen Nebenwirkungen, die für diese Wirkstoffgruppe typisch sind. Es handelt sich um Hirnschwellungen (bei ca. 1/3 der Patienten) und Hirnblutungen (bei ca. 13%), sogenannte ARIAs („Amyloid related imaging abnormalities“). In der überwiegenden Zahl (etwa 2/3) der Fälle sind diese Veränderungen ohne Symptome. Sie können aber neben leichten Symptomen wie Kopfschmerz oder Schwindel in seltenen Fällen auch zu epileptischen Anfällen, Schlaganfall und größerer Hirnblutung führen. Zudem sind die Langzeitfolgen dieser ARIAs noch völlig unbekannt.
In den Studien wurden daher alle bekannten Vorsichtsmaßnahmen ergriffen, um das Risiko dieser Nebenwirkungen zu vermeiden bzw. sie mit den zahlreichen MRT-Untersuchungen rechtzeitig zu entdecken und frühzeitig reagieren zu können. Man hätte dann z.B. Aducanumab ab- oder ausgesetzt. Die Zulassung in den USA erwähnt keine einzige Vorsichtsmaßnahme (=Gegenanzeige). Die MRT-Untersuchungen sind auf drei reduziert, was aus pragmatischen Gesichtspunkten nachvollziehbar, aber durch keinerlei Erfahrung oder Daten gestützt ist. Die Gefahr ist nun aus meiner Sicht, dass aufgrund der mangelnden Berücksichtigung sicherheitsrelevanter Aspekte mehr und schwerere Nebenwirkungen als in den Studien auftreten und die Substanz „verbrannt“, d.h. vom Markt genommen wird. Sie stünde dann auch denen, die davon profitieren und sie vertragen würden, nicht mehr zur Verfügung.
Falls das Präparat in Deutschland zugelassen wird – werden Sie es verordnen?
Unter den Bedingungen der USA-Zulassung würde ich das Präparat nicht verabreichen. Mit dieser Meinung stehe ich nicht allein. Am 21.6.21 gab es eine sehr interessante >>Diskussionsveranstaltung der amerikanischen Alzheimer’s Association.
Führende amerikanische Neurologen sprachen sich dafür aus, sehr vorsichtig vorzugehen und genaue Behandlungskriterien und Rahmenbedingungen für die Therapie festzulegen.
In den gestoppten Studien war genau definiert, welche Patienten das Präparat überhaupt nur erhalten durften. Insgesamt waren mehr als 40 Ein- und Ausschlusskriterien festgelegt. Grund hierfür waren die vorliegenden Ergebnisse zum Präparat, seine möglichen Nebenwirkungen und frühere negative Studienergebnisse zu ähnlich wirkenden Substanzen in späteren Stadien der Erkrankung. Die aktuellen Erkenntnisse liegen an diesen sehr sorgfältig ausgewählten Patienten vor. Daher sollten nach Meinung der amerikanischen Experten diese Kriterien zunächst auch weiterhin angewandt werden. Andere Themen sind noch zu klären. Die wichtigsten Punkte fasse ich hier zusammen.
1. Behandlung im frühen Krankheitsstadium
Eine Wirksamkeit wurde aufgrund früherer Studien nur in Vorstadien und sehr leichten Demenzstadien der Alzheimer-Krankheit erwartet. Zudem muss der Patient vor dem Hintergrund der möglichen Nebenwirkungen die anspruchsvolle Aufklärung über die Behandlung verstehen. Er muss selbst in der Lage sein, mögliche Behandlungsfolgen zu überblicken und sich selbstbestimmt für eine Behandlung entscheiden. Alle Experten waren sich einig, dass extrem offen und realistisch über Chancen und Risiken der Therapie aufgeklärt werden muß.
2. Amyloid-Nachweis als Behandlungskriterium
Die Zulassung erfolgte, da Aducanumab das Amyloid im Gehirn der Patienten reduzierte. Eine Therapie ohne Amyloid macht demzufolge keinen Sinn. Ein Amyloid-Nachweis kann derzeit nur mit der Positronen-Emissions-Tomographie oder im Nervenwasser erfolgen. Perspektivisch erwarten wir einen Amyloid-Nachweis aus Blutproben. Letztere Entwicklung scheint für einen breiteren Einsatz unverzichtbar.
3. Definition von Gegenanzeigen
Aus Gründen der Patientensicherheit müssen Ein- und Ausschlußkriterien definiert werden, damit das Risiko von Hirnschwellungen und Hirnblutungen minimiert wird. Dazu gehören vor allem keine Einnahme blutverdünnender Medikamente und der Ausschluss vorbestehender Schlaganfälle und Blutungen auch kleineren Durchmessers im Gehirn.
4. MRT-Tauglichkeit
Zur Erkennung der erwähnten möglichen Hirnschwellungen und Hirnblutungen müssen MRTs durchgeführt werden. Patienten, bei denen kein MRT durchgeführt werden darf, können nicht mit Aducanumab behandelt werden.
5. Vorgaben zum Vorgehen im Falle von Hirnschwellung und Hirnblutung
Bis dato gibt es keine Behandlungsleitlinien im Falle ausgeprägter Hirnschwellungen.
Unklar sind mögliche Spätfolgen kleinerer Hirnblutungen, ob z.B. das Risiko von schwerwiegenden Hirnblutungen im Verlauf ansteigt. Hier sind weitere Daten erforderlich.
6. Weitere Daten und Erfahrungen erforderlich
Einige für die Behandlung essentielle Eckpunkte sind nicht bekannt und müssen erarbeitet werden, z.B.
Wie lang wird mit Aducanumab behandelt?
Wie kann der Behandlungseffekt auf Symptomebene erfasst werden?
Wie kann die zuverlässige Erfassung von möglichen Nebenwirkungen gelingen? Sollte wie in den Studien ein sog. „Caregiver“ gefordert werden, der den Patienten nahezu täglich sieht und Veränderungen bemerken würde?
Wie kann ein Training für Radiologen und Nuklearmediziner aussehen?
Wird Aducanumab möglicherweise zunächst nur in spezialisierten Zentren verabreicht werden können?
7. Genetische Testung
Ein genetischer Risikofaktor der Alzheimer-Krankheit (ApoE Genotyp) spielt eine wesentliche Rolle für den Effekt und das Risiko von Nebenwirkungen der Behandlung mit Aducanumab. Vor Therapiebeginn wurde er in den Studien bestimmt. Diese Information, die man auch zukünftig brauchen wird, macht eine genetische Beratung von Patient und Familie erforderlich.
8. Zusage der Kostenübernahme für die Therapie und die sicherheitsrelevanten Untersuchungen durch die Krankenkassen.
Erste Zahlen lassen Jahrestherapiekosten von 50.000-60.000 Euro vermuten (ohne MRTs). Therapiekosten in dieser Größenordnung gibt es bei ausreichendem Wirksamkeitsnachweis und Sicherheit in anderen Bereichen der Medizin durchaus. Für Deutschland ist für vergleichbare Therapien in anderen medizinischen Bereichen zu ergänzen, dass der Arzt, der die Infusion durchführt und das Haftungsrisiko der Therapie trägt, derzeit beim gesetzlich versicherten Patienten mit ca. 50 €, beim Privatpatienten mit knapp 80€ vergütet wird.
So begrüßenswert eine neue Alzheimer-Therapie ist, so außergewöhnlich ist es, dass grundlegende Fragen rund um die Therapie nach der Zulassung angegangen werden. Ich hoffe für unsere Patienten, dass die europäische Zulassungsbehörde im positiven Fall die Zulassung sehr viel konkreter gestaltet, damit Aducanumab den richtigen Patienten sicher verabreicht werden kann. Dafür stehen dann z.B. das Team des ISD und anderer spezialisierter Gedächtnisambulanzen in Deutschland zur Verfügung. Machen wir uns gemeinsam auf den Weg!
Zur Person Frau Dr. Katharina Bürger:
Privatdozentin Dr. Katharina Bürger (*1968) studierte Medizin an der Ludwig Maximilians Universität (LMU) München. Ihre Ausbildung zur Fachärztin für Psychatrie und Psychotherapie begann sie am Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München bei Herrn Prof. Lauter und Herrn Prof. Kurz, wo sie auch promovierte. Unter der Supervision von Frau Bayer-Feldmann, langjährige erste Vorsitzende der Alzheimer Gesellschaft München e.V., begleitete sie Angehörigengruppen von Demenzkranken und wurde Mitglied der AGM. 1997 wechselte sie in die Psychiatrische Klinik der LMU. Dort schloss sie ihre Facharztausbildung ab und habilitierte zum Thema Biomarker der Alzheimer Krankheit.
Ab 2007 war sie Oberärztin der Demenzforschungsstation und des Alzheimer Gedächtnis Zentrums der Psychiatrischen Klinik. Seit 2009 ist sie Oberärztin der Gedächtnisambulanz des Instituts für Schlaganfall- und Demenzforschung (ISD), LMU Klinikum, Campus Großhadern. Sie ist als Prüfärztin an zahlreichen wissenschaftlichen Studien, vor allem des DZNE (Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen) und des ISD sowie internationalen Medikamentenprüfungen beteiligt. Seit 2015 ist sie ehrenamtlich erste Vorsitzende der Alzheimer Gesellschaft München e.V.
Für die Aducanumab „EMERGE“ Studie war sie verantwortliche Prüfärztin am ISD.
Zur Person Herr Prof. Stefan Lichtenthaler:
Prof. Lichtenthalers (*1968) Forschungsgebiet sind die molekularen Grundlagen neurodegenerativer Erkrankungen wie der Alzheimer-Krankheit. Prof. Lichtenthaler studierte Chemie an den Universitäten Karlsruhe, Montpellier (Frankreich) und Heidelberg. Anschließend promovierte er am Zentrum für Molekulare Biologie der Universität Heidelberg. Nach einem Postdoc-Aufenthalt an der Harvard-Universität (USA) wurde er Nachwuchsgruppenleiter an der LMU und dort für das Fach Biochemie habilitiert. Professor Stefan Lichtenthaler ist Abteilungsleiter am DZNE München und Leiter des Lehrstuhls Neuroproteomik an der Technischen Universität München.