01_2021 - Vererblichkeit der Alzheimer-Krankheit und anderer Demenzerkrankungen
Lieber Herr Professor Steiner, lieber Herr Professor Levin,
als Oberärztin der Gedächtnisambulanz des Institut für Schlaganfall-und Demenzforschung (ISD), LMU Klinikum, werde ich von fast jeder Familie nach der Vererblichkeit von Alzheimer gefragt. Sie beschäftigen sich wissenschaftlich mit dem Thema und sind freundlicherweise bereit, die am häufigsten gestellten Fragen zu beantworten.
Ist Alzheimer erblich?
Ja und nein, Alzheimer kann erblich sein. Die familiäre Form der Alzheimer-Krankheit ist sehr selten. Sie liegt nur bei ca. 1% der Fälle vor. Die überwiegende Mehrheit der Fälle tritt sporadisch, also schicksalshaft, auf. Ein wesentlicher Unterschied ist der Beginn der Krankheit, die bei den familiären Erkrankungen vor dem 60. Lebensjahr auftritt, sonst ist der Krankheitsverlauf sehr ähnlich. Bei manchen Patienten mit der familiären Form kann die Erkrankung aber bereits sehr früh, im jungen Erwachsenenalter auftreten.
Wann muss man an eine erbliche Form von Alzheimer denken und genetische Diagnostik in die Wege leiten?
In der Tat dann, wenn die Symptome mitten im Leben auftreten. Hier sollte man auch erheben, ob weitere blutsverwandte Familienangehörige, insbesondere Eltern und Großeltern von der Demenz betroffen sind oder waren. Die genetische Diagnostik erlaubt dann die Bestätigung, ob eine erbliche Form der Erkrankung vorliegt. Ein relevantes Risiko für die familiäre Form ist gegeben, wenn zwei Merkmale gleichzeitig vorliegen: 1) Mehrere Personen in aufeinanderfolgenden Generationen erkranken an Alzheimer und 2) das Erkrankungsalter liegt vor dem 60. Lebensjahr.
Was bedeutet „genetischer Risikofaktor“?
Als genetische Risikofaktoren bezeichnet man bestimmte Gene, die den Krankheitsausbruch von Alzheimer beeinflussen können. Das heißt, dass sie bei Trägern dieser genetischen Merkmale dazu führen, dass sie mit einer etwas größeren Wahrscheinlichkeit erkranken. Zu diesen Risikofaktoren gehört z.B. die APOE4 Genvariante, welche das Risiko an Alzheimer zu erkranken deutlich erhöht, aber nicht zwingend zum Ausbruch der Erkrankung führt. Dagegen liegen bei den familiären Formen der Erkrankung Mutationen in den APP oder Präsenilin-Genen vor, die dominant mit einem Risiko von 50% an die Nachkommen vererbt werden und bei Genträgern unweigerlich zum Ausbruch der Erkrankung führen.
Wenn nur so ein geringer Teil der Erkrankungen von den Eltern eindeutig weitergegeben werden, warum wird dann soviel zur Erblichkeit der Erkrankung geforscht?
Erbliche Formen unterscheiden sich nicht vom Krankheitsbild der sporadischen Form. Die krankmachenden Prozesse im Gehirn beginnen allerdings bereits zwei bis drei Jahrzehnte vor dem Ausbruch der Krankheit. Die erblichen Fälle dienen in der Forschung als Modell der sporadischen Form und sind ausgesprochen hilfreich, um die molekularen Mechanismen der Erkrankung aufzuklären, biologische Marker zu entwickeln und darauf aufbauend Therapien für Alzheimer zu entwickeln. Weltweit gibt es ein sehr aktives Netzwerk zur Erforschung der familiären Alzheimer-Krankheit: DIAN (Dominantly Inherited Alzheimer Network). Die deutschen Zentren befinden sich in Tübingen und München (EinblickDemenz berichtete, >>Artikel).
Meine Mutter ist wie ihre Mutter etwa mit 75 an Demenz erkrankt, drei ihrer fünf Geschwister ebenfalls zwischen 75 und 80. Eine erbliche Form wurde nicht bestätigt. Wie lässt sich das erklären?
In diesen Fällen könnte in der Tat APOE4 vorliegen. Oder aber auch eine Anhäufung von anderen Risikogenen. Zur Untersuchung dieser genetischen Risikokonstellationen laufen momentan viele Forschungsprojekte. Zur Einschätzung des Risikos von Einzelpersonen sind diese Entwicklungen jedoch momentan nicht geeignet.
……ich bedanke mich für Ihre Ausführungen und möchte Sie bitten, ergänzend noch zur Erblichkeit anderer Demenzformen Stellung zu nehmen, wie z.B. der frontotemporalen oder der Lewy-Körperchen Demenz.
Ja, auch diese Demenzformen können erblich sein, im Fall der frontotemporalen Demenz ist das gemessen am Anteil der Erkrankten auch wesentlich häufiger als bei der Alzheimer Demenz. Bis zu einem Viertel der Fälle der frontotemporalen Demenzen sind erblich, allerdings ist die frontotemporale Demenz wesentlich seltener als die Alzheimer-Demenz. Die Lewy-Körperchen Demenz ist auch seltener als die Alzheimer Demenz, hier sind erbliche Formen jedoch extrem selten.
Herzlichen Dank für das Gespräch.
Das Gespräch führte Frau Dr. Katharina Bürger, Oberärztin am Institut für Schlaganfall- und Demenzforschung des LMU Klinikums, Campus Großhadern
Das Wichtigste in Kürze:
1. Die familiäre Form der Alzheimer-Krankheit ist sehr selten und liegt in nur in ca. 1% der Fälle vor.
2. Die familiäre Form der Alzheimer-Krankheit wird mit einem dominanten Erbgang weitergegeben. Das Risiko der Nachkommen, die Anlage zu erben, beträgt 50%.
3. Eine Erblichkeit ist zu vermuten bei mehreren blutsverwandten Betroffenen in aufeinanderfolgenden Generationen UND Erkrankungsalter vor dem 60. Lebensjahr.
4. Die erbliche Alzheimer-Krankheit unterscheidet sich kaum von der schicksalhaften, in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle auftretenden Form und kann somit als Modell zu ihrer Erforschung dienen.
5. Die Erforschung der erblichen Alzheimer-Krankheit hat unser Verständnis der Krankheitsmechanismen verbessert und trägt u.a. zur Entwicklung biologischer Marker bei. Beides ist Grundlage für die verbesserte Diagnostik und die Entwicklung neuer Medikamente gegen Alzheimer.
Zur Person Prof. Harald Steiner:
Harald Steiner ist außerplanmäßiger Professor für Biochemie an der LMU München sowie assoziierter Wissenschaftler am DZNE München und beschäftigt sich mit den molekularen Mechanismen von Alzheimer.
Zur Person Prof. Johannes Levin:
Johannes Levin ist Facharzt für Neurologie und außerplanmäßiger Professor an der Neurologischen Klinik und Poliklinik des LMU Klinikum und am Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) und beschäftigt sich mit erblichen Demenzen.