02_2016"Kann Alkohol das Sterberisiko bei Alzheimer reduzieren?"

 

In einer aktuellen Studie haben Forscher der Universität Kopenhagen berichtet, dass das Sterberisiko im frühen Stadium der Alzheimer-Erkrankung sinkt, wenn sich Patienten gelegentlich ein Gläschen gönnen. Allerdings handelt es sich bei dieser Studie um eine reine Beobachtungsstudie, weshalb man nicht schlussfolgern kann, moderater Alkoholkonsum senke das Sterberisiko von Patienten mit Alzheimer Demenz. Zudem ist sie bisher weltweit die einzige Studie zu dieser Frage. Daher stehen unabhängige Bestätigungen der Ergebnisse noch aus. Davon abgesehen ist ihre Aussagekraft aufgrund eines sehr geringen Stichprobenumfangs stark limitiert. Da in der Allgemeinbevölkerung jedoch mehrfach ein Zusammenhang zwischen moderatem Alkoholkonsum und vermindertem Sterberisiko festgestellt wurde, überrascht es nicht, dass dies auch für Menschen mit Demenz gilt.

Wie ist ein solch positiver Effekt des Alkohols zu erklären?

Zunächst ist nochmals zu betonen, dass zwar der Zusammenhang zwischen moderatem Trinken und verringerter Sterblichkeit mehrfach bestätigt werden konnte, der Grund dafür jedoch noch längst nicht geklärt ist. Einerseits ist es nicht auszuschließen, dass sich unter den Abstinenten gehäuft vormalige Alkoholiker befinden, die aufgrund ihres früheren Alkoholmissbrauchs einem höheren Risiko für Krankheit und Tod ausgesetzt sind. Andererseits ist zudem nicht ausreichend bekannt, ob das Trinken wegen eines verschlechterten Gesundheitszustandes aufgegeben wurde oder ob nicht sogar der über viele Jahre symptomfrei verlaufende Demenzprozess Auswirkungen auf das Trinkverhalten hatte.
Mögliche protektive Effekte bei moderatem Alkoholkonsum lassen sich vor allem mit zwei Mechanismen erklären. Zum einen hat moderater Alkoholkonsum eine positive Auswirkung auf das Herz-Kreislauf-System, indem die Verklumpung der Blutplättchen und Entzündungen gehemmt werden und das Lipidprofil des Blutes verbessert wird. In der Bildgebung findet man bei maßvollen Alkoholkonsumenten, im Vergleich zu  Abstinenten, weniger Verletzungen der weißen Substanz, weniger Hirninfarkte und größere Volumina der beiden Hirnregionen Hippocampus und Amygdala. Des Weiteren enthalten Alkoholika etliche antioxidative Stoffe, die unter Umständen  dem oxidativen Stress im alternden Gehirn entgegen wirken können.

Insbesondere wird oft in Studien vor massivem Alkoholkonsum gewarnt, welcher schneller zu einer Demenz führen kann. Wo also verläuft die Grenze zwischen Genuss und Gefahr für Frauen und Männer, insbesondere im Seniorenalter?

Tatsächlich zeigen die meisten Studien, dass Menschen, die einen moderaten Alkoholkonsum berichteten, in der Folgezeit mit einer geringeren Wahrscheinlichkeit an einer Demenz erkrankten als diejenigen, die keinen Alkohol zu sich nahmen. Der Zusammenhang zwischen Alkoholmenge und Demenzrisiko im Allgemeinen ist J-förmig, d.h. leicht erhöht bei Abstinenten, mehr oder weniger deutlich vermindert bei moderatem Konsum und dann wieder steil zunehmend bei höherem Konsum oder Alkoholmissbrauch. Wo genau die Grenzen zwischen protektiver Wirkung des Alkoholkonsums und dem Bereich bei dem sich Demenzrisiko erhöht liegen, ist nicht präzise zu beziffern, da die Studien keine einheitlichen Definitionen der Alkoholmenge verwendet haben.
Beschreibungen der Trinkmenge in den Gruppen mit dem geringsten Risiko lauteten z.B. „1-21 Drinks pro Woche bei den Männern, 1-14 Drinks pro Woche bei den Frauen“ oder „8 bis 168 Gramm Alkohol pro Woche bei den Männern und 8-112 Gramm bei den Frauen“. Die eingangs erwähnte Kopenhagener Studie fand das geringste Sterberisiko in der Gruppe mit dem Verzehr von  2-3 Einheiten von 12g/15mL reinem Alkohol pro Tag (entspricht etwa 0,25 bis 0,4 Litern Weißwein). In einer französischen Studie, die zu den ersten zählte, die eine Schutzwirkung des Alkohols auf Demenzen berichtete, befand sich die stärkste Risikoreduktion in der Gruppe mit einem täglichen Konsum von 0,25 bis 0,5 Litern Wein. 
Man darf auch nicht vergessen, dass die Ergebnisse auf Selbstauskünften beruhen, die vermutlich häufig in sozial erwünschter Weise geschönt waren. Die reale Menge könnte deswegen auch etwas höher liegen.

Kann eine Empfehlung ausgesprochen werden Alkohol zu konsumieren, um Alzheimer vorzubeugen?
Es kann beim gegenwärtigen Kenntnisstand ein protektiver Effekt von kleineren Mengen Alkohol auf neurodegenerative Erkrankungen nicht ausgeschlossen werden. Jedoch sind auch die neurotoxischen Effekte von Alkohol gut bekannt und es gibt bisher keinen überzeugenden Hinweis darauf, dass sich bei vormals Abstinenten durch moderaten Alkoholkonsum das Demenzrisiko verringern ließe. Deshalb würde man weder einem abstinenten Menschen empfehlen, besser hin und wieder mal ein Gläschen Alkohol zu trinken, noch würde man in Anbetracht der empirischen Befunde einem Menschen mit Demenz vom moderaten Konsum abraten müssen, sofern keine anderen zwingenden Umstände dafür sprechen.

Interview mit Dr. Horst Bickel
(Textfassung Carina Lehmer)

 

Zur Person Dr. Horst Bickel:

Dr. Horst Bickel leitet die Arbeitsgruppe Psychiatrische Epidemiologie an der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Technischen Universität München, Klinikum rechts der Isar.

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