07_2016 "Sport und Alzheimer – Schützt ein aktives Leben vor Alzheimer?"


Wie bereits von Herrn Prof. Dr. Michael Ewers in EinBlickDemenz im Jahr 2015 berichtet wurde (Artikel 7_2015), können schützende Faktoren wie körperliche und geistige Aktivität die kognitive Reservekapazität positiv beeinflussen und somit den Verlust der geistigen Leistungsfähigkeit länger hinauszögern. Dagegen kann, einer britischen Studie zu Folge, körperliche Inaktivität das Risiko Alzheimer zu entwickeln erhöhen. Hinzu kommt, dass sich viele von uns zu wenig bewegen. Schon vor den Olympischen Spielen in London haben Wissenschaftler festgestellt, dass sich weltweit jeder dritte Erwachsene zu wenig bewegt.

Positiv an diesen Erkenntnissen ist, dass wir etwas daran ändern können: Denn Wissenschaftler berichten, dass sich genau dieses Risiko durch regelmäßige körperliche Aktivität in der Freizeit möglicherweise verringern oder sogar vermeiden ließe. Dies wurde bereits in der Vergangenheit im Rahmen von Beobachtungsstudien über die Zeit untersucht. Zudem weisen zahlreiche experimentelle Forschungsergebnisse auf die positive Wirkung von körperlicher Aktivität hin. Durch die Ausübung von körperlicher Freizeitaktivität kann die Gehirndurchblutung verbessert und verschiedene schützende Mechanismen ausgelöst werden. So kann vermutlich der Abbau von Amyloid-Beta Ablagerungen im Gehirn positiv beeinflusst werden. Darüber hinaus wird der Wachstumsfaktor BDNF (Brain-derived neurotrophic factor) verstärkt produziert. BDNF ist ein körpereigenes Protein, welches die Bildung von neuen Nervenzellen fördern und das Überleben von vorhandenen Nervenzellen im Gehirn unterstützen kann.

Noch immer steht keine wirksame Therapie oder Prävention für die Alzheimer-Krankheit zur Verfügung. Aber aktuell laufende Präventionsstudien lassen nun hoffen, dass der Beginn der Entwicklung der Alzheimer’schen Erkrankung um eine gewisse Zeit verzögert werden könnte. Vor diesem Hintergrund stellt sich Herr Prof. Ewers in diesem Beitrag der Frage: Inwieweit gibt es bereits nähere Hinweise, wie der Einzelne den positiven Effekt eines aktiv geführten Lebens umsetzen kann. Insbesondere, wie der aktuelle Forschungsstand in Bezug auf Empfehlungen zur körperlichen Aktivität ist. Ab wann man damit beginnen sollte und wie oft welcher Sport ausgeübt werden kann, um positive Effekte erzielen zu können. Wir freuen uns sehr darüber, dass sich Herr Prof. Ewers in diesem Zusammenhang noch einmal dazu bereit erklärt, uns diese spannenden Fragen näher zu erläutern.


"Herr Prof. Ewers, eine allgemeine Empfehlung der WHO (World Health Organization) entspricht einem Aktivitäts-Level von wenigstens 150 min. moderater körperlicher Aktivität in der Woche. Dazu zählen Aktivitäten wie Spaziergänge und Radfahren, die von einer großen Anzahl von Personen ohne große Nebenwirkungen sehr einfach durchgeführt werden können. Die WHO bezieht sich im Rahmen dieser Empfehlung bisher auf Hinweise, dass aktive Personen weniger an Herz-Kreislauferkrankungen, Diabetes Typ 2
(vgl. Artikel 1_2016, Anm. der Red.) oder Depressionen leiden, als Personen, die weniger aktiv sind.

Kann diese Empfehlung auch auf die Alzheimer-Krankheit übertragen werden? Gibt es in diesem Zusammenhang bereits wissenschaftliche Erkenntnisse in Bezug auf Häufigkeit und Intensität?“

Prof. Dr. Ewers: "Ein Zusammenhang von körperlicher Aktivität und vermindertem Demenzrisiko ist in Studien auch für die Alzheimer-Krankheit gezeigt worden. Es ist davon auszugehen, dass körperliche Aktivität, wie auch andere Formen des Aufbaus kognitiver Reserve, etwa durch soziale Aktivitäten und gesunde Ernährung, eine Verminderung dementieller Symptome im Verlauf der Alzheimer-Krankheit bewirken. In Interventionsstudien führte eine Steigerung der Bewegung um etwa 20 Minuten am Tag, z.B. durch zügiges Spazierengehen, bereits zu einer Verlangsamung der Abnahme der geistigen Leistung bei älteren Personen. Die Ableitung einer optimalen 'Dosis' körperlicher Aktivität ist momentan jedoch nicht möglich, da die Wirkungsmechanismen sportlicher Bewegung auf die geistige Leistungsfähigkeit nicht ausreichend bekannt sind."


"Eine in der Vergangenheit durchgeführte Beobachtungsstudie hat gezeigt, dass körperliche Freizeitaktivität, bereits zu einem frühen Zeitpunkt ab dem mittleren Lebensalter durchgeführt, das Risiko später Alzheimer zu entwickeln reduzieren kann.
Wie ist der aktuelle Forschungsstand in Bezug auf das Lebensalter? Ab welchem Alter ist es sinnvoll mit der körperlichen Aktivität zu beginnen? Ist es, wenn ich älter bin, möglicherweise schon zu spät positive Effekte zu erzielen?“

Prof. Dr. Ewers: "Auch in höherem Alter ist ein Wechsel von einem inaktiven Lebensstil zu mehr körperlicher Bewegung sinnvoll, selbst wenn schon dementielle Symptome sichtbar sind. Interventionsstudien in höherem Alter haben signifikant verbesserte kognitive Leistungen bei älteren Personen mit erhöhtem genetischen Risiko einer Alzheimer-Krankheit gezeigt. Diese stützen somit die These präventiver Wirkung erhöhter körperlicher Aktivität."


"Wie Sie uns bereits im letzten Jahr erklärten, können körperliche und geistige Aktivitäten die kognitive Reservekapazität unterstützen und den Verlust der geistigen Leistungsfähigkeit hinauszögern.
Besteht möglicherweise ein Zusammenhang zwischen der Wirkung von körperlicher und geistiger Aktivität? Kann ich, wenn ich frühzeitig im Leben mit körperlicher und geistiger Aktivität beginne, auch schon in früheren Jahren von diesen Maßnahmen profitieren? Oder wirkt sich dieser positive Effekt erst später im Lebensverlauf nur auf die Entwicklung einer Demenz aus?“

Prof. Dr. Ewers: "Der ursächliche Zusammenhang der Steigerung von körperlicher Fitness und höherer geistiger Gesundheit im Alter ist nur unzureichend verstanden. Ein Zusammenhang zwischen körperlicher Aktivität und verringertem Vorkommen altersbedingter Durchblutungsstörungen des Gehirns wurde in einigen Studien berichtet, wenn auch die Evidenzlage hier noch schwach ist. Eine interessante Forschungsrichtung zeigt auf, dass Überlebensfaktoren von Nervenzellen, wie z.B. die Steigerung des Proteins BDNF, welche den Schutz und die Neuformung von Verbindungen zwischen den Nervenzellen im Gehirn fördert, zur Wirkung körperlicher Aktivität beitragen. Genetische Studien haben gezeigt, dass Alzheimer-Patienten mit genetisch bedingter Verringerung der BDNF Ausschüttung im Gehirn stärkere Gehirnschädigung zeigen. Zudem wurde in einer Studie bei gesunden älteren Personen der Effekt von gesteigerter körperlicher Aktivität und besserer geistiger Leistung auf die Erhöhung des Proteins BDNF zurückgeführt. Es bleibt allerdings anzumerken, dass in dieser Studie BDNF im Blut gemessen wurde. Ein Manko ist, dass momentan noch kein verlässlicher Marker von BDNF im Nervenwasser vorhanden ist, um Effekte auf BDNF im Gehirn messen zu können. Dennoch sind diese ersten Studien vielversprechend und zeigen biologische Wirkmechanismen, die therapeutisch oder präventiv zu beeinflussen sind, auf."


"Um zu zeigen, zu welchen sportlichen Leistungen bereits an Alzheimer Erkrankte noch immer fähig sein können, wurde letztens von einer belgischen Organisation ein begleitetes Trecking im Himalaya durchgeführt. Die Teilnehmer waren Betroffene im mittleren bis moderaten Alzheimer-Stadium mit ihren Ehepartnern. Sie waren jünger als 65 Jahre, ansonsten körperlich gesund und wurden durch ein Training auf diese sportliche Herausforderung sehr gut vorbereitet. Begleitet wurde diese Tour unter anderen von einem Sportmediziner und einem Physiotherapeuten.
Es wird nun nicht jeder gleich eine Tour zum Himalaya planen – aber kann ich weiterhin körperlich aktiv sein, auch wenn ich bereits erkrankt bin? Und inwiefern zeigen sich positive oder möglicherweise sogar negative Effekte auf meine Erkrankung durch die Aktivität?“

Prof. Dr. Ewers: "Eine Verlangsamung der Abnahme der geistigen Leistungsfähigkeit durch erhöhte körperliche Bewegung ist, wie bereits erwähnt, auch durch Aktivitäten wie zügiges Spazierengehen erreicht worden. Man muss also nicht ins Fitnessstudio gehen und Höchstleitung erbringen, wenn man etwas für die körperliche und geistige Gesundheit im Alter unternehmen möchte."


Abschließend möchten wir gerne von Herrn Prof. Ewers noch etwas über zukünftige Forschungsansätze erfahren.

„Herr Prof. Ewers, wie sehen Sie den Trend zukünftiger Möglichkeiten der Risikominimierung der Alzheimer-Krankheit? Ist es ausreichend Lifestyle Faktoren wie beispielsweise körperliche und geistige Aktivität soziales Engagement und Bildung zu beherzigen oder wirken diese Faktoren eher unterstützend zu einer pharmakologischen Prävention?“

Prof. Dr. Ewers: "Es ist fraglich, ob günstige Lifestyle-Faktoren das Fortschreiten der Alzheimer-Krankheit an sich verlangsamen oder vielmehr den Effekt dieser Krankheit auf die Gehirnleistung lindern, und somit die mentale Leistung stützen. Gesunde Ernährung, viel Bewegung und eine geistig aktive Lebensführung haben wahrscheinlich eine breite Wirkung. Beispielsweise die Verbesserung der physischen Fitness wie etwa der Herzfunktion, Blutdruck sowie Durchblutung des Gehirns, aber auch der Verringerung depressiver Symptome und somit emotionale Stabilisierung. Behandlungsstrategien, wie etwa die Immunisierung gegen die Alzheimer-typische Ablagerung des Proteins Amyloid-Beta, zielen auf die Beseitigung der Alzheimer-typischen Veränderungen an sich ab. Diese Ansätze sind somit nicht vergleichbar, sondern ergänzen sich vielmehr."


„Können Sie sich vorstellen, dass persönliche Faktoren wie berufliche Tätigkeit und körperliche Aktivität, von denen angenommen wird, dass sie die kognitive Reservekapazität beeinflussen, mit in die Vorhersage des persönlichen Risikos einer Entwicklung einer Demenz von Alzheimer-Typ mit einfließen? Und diese Faktoren somit später auch zu gezielteren Handlungsempfehlungen in der frühzeitigen Behandlung führen können?“

Prof. Dr. Ewers: "Richtig, die kognitive Reservekapazität beschreibt ja die Fähigkeit, die mentale Leistungsfähigkeit relativ lange beim Fortschreiten der Alzheimer-Krankheit aufrechtzuerhalten. Geistige Reservekapazitäten sind somit für die Früherkennung der Krankheit und die Vorhersage der Entwicklung dementieller Symptome hoch relevant. Erhöhte Reserve kann somit auch dazu führen, dass die Alzheimer-Krankheit erst später erkannt wird, da die Abnahme der geistigen Leistungsfähigkeit erst später sichtbar wird. Hier entwickeln wir momentan Biomarker (vgl. Artikel 3_2016, Anm. der Red.) der kognitiven Reserve anhand der MRT Bildgebung vom Gehirn, um messbare Werte zu erhalten. Zudem sind wir in der Forschung darum bemüht, die Gehirnmechanismen der kognitiven Reserve zu verstehen, um diese gezielt fördern zu können und somit die Entwicklung einer Demenz möglichst lange hinauszuzögern."

"Herr Prof. Ewers, abschließend herzlichen Dank für das Interview zum Thema 'Sport und Alzheimer'. Wir sind schon sehr gespannt in Zukunft mehr über Ihre neuesten Erkenntnisse im Zusammenhang mit der kognitiven Reserve erfahren zu können und freuen uns auf weitere Artikel."

Interview mit Prof. Dr. Michael Ewers
(Textfassung: Sonja Einhaus)

 

Zur Person Prof. Dr. Michael Ewers:

Prof. Dr. Michael Ewers ist Leiter der Forschungsgruppe „Bildgebung des Gehirns und Biomarkerforschung“ am Institut für Schlaganfall- und Demenzforschung (ISD) am Klinikum der Universität München.

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