04_2016 "Klinische Forschung: Prüfung neuer Arzneimittel zur Behandlung der Alzheimer-Krankheit. Von der Kontaktaufnahme durch Betroffene bis zur Teilnahme an einer klinischen Arzneimittelprüfung. "


    Am Zentrum von Herrn PD Dr. Timo Grimmer werden zahlreiche klinische Arzneimittelprüfungen zur Untersuchung der Wirksamkeit und Sicherheit von neuen Medikamenten zur Behandlung der Alzheimer-Krankheit angeboten. Im Interview erklärt er die Abläufe von der Kontaktaufnahme durch Betroffene bis zur Teilnahme an einer klinischen Studie.

    Mehrere neue Medikamente zur Behandlung der Alzheimer-Krankheit werden derzeit auf ihre Wirksamkeit und Sicherheit hin untersucht. Dies geschieht im Rahmen sogenannter klinischer Arzneimittelprüfungen, d.h. die Medikamente befinden sich noch in der Erprobungsphase und können nicht auf gewöhnlichem Weg von einem Arzt verordnet oder in einer Apotheke erworben werden.

    Zwei solcher Medikamente, Aducanumab (vgl. Artikel 3_2015) und Solanezumab (vgl. Artikel 6_2015), haben wir bereits in Artikeln vorgestellt. Wir erhielten daraufhin mehrere Rückfragen, wie man als Betroffener an solchen Studien teilnehmen kann und was einen bei einer Teilnahme erwartet. Daher freuen wir uns sehr, dass Herr PD Dr. Grimmer für die Beantwortung dieser Fragen zur Verfügung steht.

    "Herr Grimmer, was für klinische Arzneimittelprüfungen werden bei Ihnen am Zentrum für Kognitive Störungen und Rehabilitation durchgeführt?"

    PD Dr. Timo Grimmer: "Wir bieten Menschen, die an einer Alzheimer-Krankheit leiden, ein breites Spektrum neuartiger Behandlungsverfahren an. Dabei handelt es sich um Arzneimittel, die sich noch in der Entwicklung befinden, so dass noch begrenzte Erfahrungen über die Wirksamkeit und Verträglichkeit vorliegen. Wir achten bei der Auswahl insbesondere darauf, dass diese Medikamente möglichst gut verträglich und nicht schädlich sind, und dass der vermutete Wirkmechanismus nachvollzierbar erscheint.
    Zurzeit lassen sich diese Wirkmechanismen drei Bereichen zuordnen:

    1. Arzneimittel, die die Konzentration  des Eiweiß Amyloid im Gehirn senken sollen. Von Amyloid, das der wesentliche Bestandteil der Alzheimer-Plaques ist, wird vermutet, dass es der Auslöser der Alzheimer-Erkrankung ist.
    2. Arzneimittel, die die Konzentration des Eiweiß TAU im Gehirn senken sollen. Ablagerungen von Tau finden sich regelhaft im Gehirn Betroffener.
    3. Arzneimittel, die durch die Alzheimer-Krankheit hervorgerufene Beschwerden, z.B. Vergesslichkeit, lindern sollen."


    "Nehmen wir an, eine an Alzheimer erkrankte Person möchte an einer Studie bei Ihnen teilnehmen. Wie erfolgt die Aufnahme in eine solche Studie?"

    PD Dr. Timo Grimmer: "Der erste Schritt ist die Kontaktaufnahme des Betroffenen mit uns per Post, Fax, E-Mail oder Telefon (Kontaktdaten am Ende des Artikels). Zunächst interessiert uns das Ausmaß bereits erfolgter diagnostischer Untersuchungen und eingeleiteter Behandlungen. Grob kann man dabei drei Szenarien unterscheiden:

    • Der Patient wurde bereits vollständig untersucht und erhält die  aktuell empfohlene Standardbehandlung.
    • Der Patient wurde noch nicht vollständig untersucht und / oder erhält noch nicht die empfohlene aktuelle Standardbehandlung.
    • Der Patient ist besorgt an der Alzheimer-Krankheit zu leiden, war aber noch nicht bei einem Arzt.

    In den letzten beiden Fällen vereinbaren wir zunächst eine Vervollständigung der diagnostischen Untersuchungen entweder heimatnah oder bei Bedarf bei uns, das hat mit einer Studienteilnahme noch nichts zu tun.

    Erst nach vollständiger Untersuchung laden wir den Patienten und seine(n) versorgende(n) Angehörige(n) zu einem Gespräch ein und besprechen mit Blick auf die Gesamtsituation mit dem Patienten, welche Art der Behandlung am sinnvollsten ist. Dies kann zunächst die derzeit empfohlene Standardtherapie sein, wenn diese bisher nicht eingeleitet wurde. Darüber hinaus informieren wir über die Behandlungsansätze in klinischer Entwicklung, soweit sie für den Betroffenen in Frage kommen könnten.

    Sollte sich ein Betroffener für eine solche Behandlung in Entwicklung interessieren, erklären wir ihm die Möglichkeit, eine solche Behandlung zu erhalten, genauer. Wir erklären also den Ablauf der Teilnahme an einer solchen sogenannten klinischen Prüfung. Wir erklären, was eine Teilnahme mit sich bringt, welche Risiken es durch die Einnahme der Prüfsubstanz gibt und welche Untersuchungen im Rahmen der Teilnahme gemacht werden.

    Wenn der Patient interessiert ist, hat er anschließend genügend Zeit, diese Behandlungsmöglichkeit mit Vertrauenspersonen, wie Verwandten oder dem Hausarzt, zu besprechen. Möchte er weiterhin an der Studie teilnehmen, findet ein weiteres Aufklärungsgespräch statt, bei dem auch eine Begleitperson, oft z.B. der Ehepartner oder ein anderes Familienmitglied, teilnehmen kann. Erst wenn der Patient wirklich von seiner Teilnahme an der Studie überzeugt ist und auch bereit ist, diese bis zum Ende mitzumachen, wird er in die Studie eingeschlossen. Dabei ist zu beachten, dass der Patient selbst in der Lage ist, die Bedeutung einer Teilnahme an einer Studie einzuschätzen. Der wichtigste Aspekt ist die Tatsache, dass die Behandlung in einer Studie nicht dem medizinischen Standard entspricht, sondern über diesen hinausgeht. Daher darf die Alzheimer-Erkrankung noch nicht zu weit fortgeschritten sein.

    "Was kommt denn ganz allgemein auf einen Studienteilnehmer zu?"

    PD Dr. Timo Grimmer: "Die Untersuchungen während einer Studie werden in der Regel ambulant durchgeführt. Dem Patienten oder seiner Krankenversicherung entstehen keine Kosten durch die Teilnahme und die Fahrtkosten werden erstattet. Oft sind auch Aufwandsentschädigungen für auskunftsgebende Bezugspersonen, die den Betroffenen während der Studienuntersuchungen begleiten, möglich.

    Die Untersuchungen sind meist körperlich, wie Untersuchungen der Vitalparameter (z.B. Blutdruck, Körpertemperatur, Puls, EKG) oder auch Blutentnahmen mit dem Ziel mögliche Störungen von Organfunktionen zu erkennen. Zum Repertoire gehören zudem Kernspintomographie und andere bildgebende Verfahren des Gehirns, womit die durch die Alzheimer-Erkrankung hervorgerufenen Veränderungen untersucht werden können.

    Je nach Studie kann es auch sein, dass Hirnflüssigkeit zur Untersuchung von Eiweißveränderungen durch einen Nadelstich in Höhe der Lendenwirbelsäule entnommen wird. Die Frequenz und das Ausmaß der Untersuchungen ist den erwarteten unerwünschten Effekten, die durch das Prüfmedikament verursacht werden könnten, angepasst. Je größer die Vorerfahrung mit einem Medikament ist, desto weniger Untersuchungen sind notwendig.

    Neben den körperlichen Untersuchungen werden zusätzlich Tests der Hirnleistung mit den Patienten durchgeführt und es gibt Fragebögen, z.B. zur Bewältigung des Alltags, für Patienten und Angehörige mit dem Ziel den Nutzen des Medikaments einzuschätzen.

    "Wie lange dauert die Teilnahme an einer klinischen Arzneimittelprüfung?"

    PD Dr. Timo Grimmer: "Das hängt von dem zu erwartenden Effekt der Prüfsubstanz ab. Bei der Erprobung von Medikamenten, die Beschwerden der Alzheimer-Krankheit lindern sollen, ist die Teilnahmedauer im Schnitt 6 Monate. Bei Medikamenten, die das Voranschreiten der Erkrankung verzögern sollen, ist die Dauer zwischen 18-24 Monaten. Während dieser Zeit erhalten nicht alle Teilnehmer die wirksame Substanz, sondern ein gewisser Anteil wird mit einem unwirksamen Scheinpräparat, einem Placebo, behandelt. Dies hat zum Ziel, im Rahmen der Arzneimittelprüfung die Wirksamkeit des neuen Arzneimittels zu belegen. Häufig wird jedoch allen Teilnehmern im Anschluss an diese sogenannte Placebo-kontrollierte Erprobungsphase angeboten, mit dem neuen Medikament weiterbehandelt zu werden bis entweder die Auswertung der Studie keinen Nachweis einer Wirksamkeit erbracht hat oder bis das Medikament  eine Zulassung erhält, also über die Apotheke für jeden verfügbar wird.

    "Wer kann sich denn konkret an Sie wenden und wie erfährt man von anderen Kliniken, die Studien durchführen? "

    PD Dr. Timo Grimmer: "Die Studien werden Deutschlandweit, oft auch international, durchgeführt. Wir sind eine wichtige Anlaufstelle für Betroffene des Münchener Raums. Für andere Regionen in Deutschland bietet es sich aufgrund der räumlichen Nähe und der damit verbundenen leichteren Erreichbarkeit an, eine andere Klinik zu kontaktieren, die ebenfalls Studien durchführt. Der Vorteil an unserer Klinik ist, dass wir sehr viele klinische Arzneimittelprüfungen gleichzeitig anbieten und daher eher eine Studie dabei ist, die zu dem individuellen Betroffenen passt.

    "Herr PD Dr. Grimmer, wir danken Ihnen sehr für dieses interessante und aufschlussreiche Gespräch."

    Kontakt:
    Zentrum für kognitive Störungen und Rehabilitation
    Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie
    Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München
    Möhlstr. 26
    81675 München
    Tel: 089-4140-4275/-4276
    t.grimmer@tum.de

    Das Interview führte Dr. Katrin Strecker

     

    Zur Person Dr. Timo Grimmer:

    Oberarzt Privatdozent Dr. Timo Grimmer ist Leiter des Zentrums für Kognitive Störungen und Rehabilitation an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München.

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