02_2024 „Ernährung"

In der Gedächtnisambulanz werden wir oft gefragt, welche Rolle die Ernährung bei der Alzheimer-Krankheit und anderen Demenzformen spielt. Aktuelle Studien zeigen jedoch, dass es kein einzelnes Lebensmittel gibt, mit dem sich das Alzheimer-Risiko einfach „wegessen“ lässt.

EinBlickDemenz sprach mit Prof. Michael Wagner und Dr. Katharina Bürger.
Prof. Wagner ist Arbeitsgruppenleiter am Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) und Leitender Psychologe der Gedächtnisambulanz am Universitätsklinikum Bonn. Herr Prof. Wagner hat im Rahmen einer großen nationalen longitudinalen Studie des DZNE (der „DELCODE“-Studie) zum Thema Ernährung und Demenzrisiko geforscht.
Frau Dr. Bürger leitet die Gedächtnisambulanz am Institut für Schlaganfall- und Demenzforschung am LMU Klinikum in München. In Zusammenarbeit mit Ernährungsberaterinnen ist die Ernährung häufig Gegenstand von Informationsveranstaltungen und Beratungen. Zudem hat sie aus ihrer ärztlichen Tätigkeit sehr viele konkrete Erfahrungen in der Begleitung von Menschen mit Demenz.

1.  Kann die richtige Ernährung den Beginn der Alzheimer-Krankheit und anderer Formen von Demenz verzögern oder sogar verhindern?

Es gibt einige Hinweise darauf, aber leider keine Gewissheit. Eindeutige Erkenntnisse ließen sich nur durch jahrelange Studien gewinnen, bei denen sich hunderte von Menschen viele Jahre lang auf die eine oder andere genau festgelegte Weise ernähren, ohne dass sie sich das aussuchen können, und ohne dass sie dabei schummeln. So was kann man kaum praktisch umsetzen. Daher ist man auf Beobachtungsstudien angewiesen, bei denen man Zusammenhänge von berichteten Essgewohnheiten mit späteren Erkrankungen oder dem Nachlassen des Gedächtnisses analysiert. Einzelnen Studien ist hier immer zu misstrauen, aber ein paar Schlussfolgerungen kann man aus den vielen Beobachtungsstudien schon ziehen. 

2.  Gibt es Empfehlungen für konkrete Diäten oder Nahrungsergänzungsmittel?

Ausgewogene Ernährungsformen mit relativ viel Obst, Gemüse und Hülsenfrüchten, mit eher wenig Fleisch, mit gelegentlichem Konsum von Fisch aus dem Meer und höchstens geringem Alkoholkonsum scheinen mit besserer mentaler Leistungsfähigkeit und einem geringeren Demenzrisiko verbunden zu sein. Wenn ein nachweislicher Vitamin-D Mangel besteht, was bei erstaunlich vielen älteren Menschen und besonders in den Wintermonaten der Fall ist, sollte man diesen mittels geeigneter Präparate ausgleichen. Für andere Vitamine und Nahrungsergänzungsmittel sind die Wirksamkeitshinweise aktuell nicht überzeugend und erfordern weitere Forschung in zukünftigen Studien.

3.  Anders gefragt: gibt es auch bekannte Ernährungsmuster oder -gewohnheiten, die mit einem erhöhten Risiko für die Entwicklung von Demenz verbunden sind?

Hoch verarbeitete und hochkalorische Nahrungsmittel sind mit einem erhöhten Demenzrisiko verbunden. Hierzu zählen beispielsweise Fertigmahlzeiten („Fast Food“), Wurstwaren, Chips und zuckerhaltige Getränke wie Limonaden.

4.  Welche spezifischen Nährstoffe sind besonders wichtig für die Gesundheit des Gehirns und könnten helfen, das Demenzrisiko zu verringern?

Die Rolle einzelner Nährstoffe ist sehr umstritten, weil diese nur im Zusammenspiel mit anderen Nährstoffen wirksam werden. Es macht daher Sinn, sich an Ernährungsmustern wie der Mediterranen Diät oder an den Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung zu orientieren, welche kürzlich aktualisiert wurden (https://www.dge.de/wissenschaft/fbdg/). Von einseitiger Diät, Nahrungsergänzungsmitteln oder konzentrierter Vitaminzufuhr ohne medizinischen Grund ist eindeutig abzuraten. 

5.  Welche Rolle spielt der Lebensstil neben der Ernährung bei der Prävention oder Verlangsamung des Fortschreitens von Demenzerkrankungen?

Körperliche Aktivität, geistige Aktivitäten und soziale Kontakte sind das A und O der Demenzprävention und bremsen auch das Voranschreiten der Erkrankungen. Eine Hörhilfe kann entscheidend sein, um am sozialen Leben teilzuhaben und sollte frühzeitig in Anspruch genommen werden. Guter Schlaf ist ebenfalls sehr wichtig, denn dann werden Schadstoffe aus dem Gehirn regelrecht ausgewaschen.

6.  Gibt es spezifische Empfehlungen für die Ernährung von Menschen in fortgeschrittenen Stadien der Demenz?

Hier ist vor allem auf eine ausreichende Kalorien- und Flüssigkeitsaufnahme zu achten. Bestimmte Ernährungsformen sollten weniger eine Rolle spielen als die Lebensqualität, die ja auch durch den Genuss altvertrauter Gerichte gewinnt. Starkes Übergewicht ist ein Risikofaktor für viele Krankheiten, aber Demenzpatienten sind meist untergewichtig.

7.  Welche Herausforderungen können bei der Umsetzung einer gesunden Ernährung für Demenzpatienten auftreten und wie können diese bewältigt werden?

Bei manifester Demenz ist eine gesunde Ernährung zwar wünschenswert, in der Praxis ist es aber oft wichtiger, dass die Betroffenen überhaupt ausreichend Nahrung und Flüssigkeit zu sich nehmen, da Hunger- und Durstgefühl abnehmen. Bei der seltenen Frontotemporalen Demenz kann es zu übermäßigem Essen kommen oder die Betroffenen versuchen nicht essbare Lebensmittel zu verspeisen. Da ist die Problematik natürlich anders gelagert.
Bei den meisten Demenzerkrankungen reicht es auch im frühen Demenzstadium nicht mehr, an die Nahrungsaufnahme zu erinnern, sondern das Essen muss zubereitet und es muss zur Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme angehalten werden. In späteren Stadien ist Unterstützung bei der Nahrungsaufnahme notwendig. Grundsätzlich gilt: in Gesellschaft schmeckt es besser!

Frau Dr. Bürger und Herr Professor Wagner, ich danke Ihnen für das Interview und Ihre Zeit.

Das Interview führte Dr. Anna Dewenter.
 

Zur Person Prof. Dr. Michael Wagner:

Prof. Dr. Michael Wagner ist Professor für Psychologie an der Universität Bonn und forscht am dortigen Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen an der Früherkennung der Alzheimer-Krankheit und an Risikofaktoren für Demenzerkrankungen. Er leitet zudem den Bereich Neuropsychologie an der Klinik für Kognitive Störungen und Alterspsychiatrie am Universitätsklinikum Bonn.

Zur Person Frau Dr. Katharina Bürger:

Privatdozentin Dr. Katharina Bürger (*1968) studierte Medizin an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München. Ihre Ausbildung zur Fachärztin für Psychatrie und Psychotherapie begann sie am Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München bei Herrn Prof. Lauter und Herrn Prof. Kurz, wo sie auch promovierte. Unter der Supervision von Frau Bayer-Feldmann, langjährige erste Vorsitzende der Alzheimer Gesellschaft München e.V., begleitete sie Angehörigengruppen von Demenzkranken und wurde Mitglied der AGM. 1997 wechselte sie in die Psychiatrische Klinik der LMU. Dort schloss sie ihre Facharztausbildung ab und habilitierte zum Thema Biomarker der Alzheimer-Krankheit.

Ab 2007 war sie Oberärztin der Demenzforschungsstation und des Alzheimer Gedächtnis Zentrums der Psychiatrischen Klinik. Seit 2009 ist sie Oberärztin der Gedächtnisambulanz des Instituts für Schlaganfall- und Demenzforschung (ISD), LMU Klinikum, Campus Großhadern. Sie ist als Prüfärztin an zahlreichen wissenschaftlichen Studien, vor allem des DZNE (Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen) und des ISD sowie internationalen Medikamentenprüfungen beteiligt. Seit 2015 ist sie ehrenamtlich erste Vorsitzende der Alzheimer Gesellschaft München e.V..

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