01_2020 "Aktivierung des Immunsystems im Gehirn bei Alzheimer Erkrankung - zu viel des Guten?"

Sie wurden als die „Müllabfuhr“ des Gehirns beschrieben, als die Guten, als die Schlechten, als die „zweischneidigen Schwerter“ - das sind die Mikroglia.

Mikroglia sind die Fresszellen des Gehirns, sie bewegen sich wie Amöben durch unseren Kopf und mit ihren langen Tentakeln erkennen und finden sie Fremdkörper. Sie können totes Zellmaterial, aber auch Bakterien, regelrecht auffressen und so beseitigen und unschädlich machen.

Mikroglia sind die Immunzellen des Gehirns, und ihre Rolle bei der Gehirnentzündung wurde in vielen Studien hervorgehoben und unter Wissenschaftlern heftig diskutiert. Es ist immer noch nicht ganz klar, ob sie nun eine positive oder negative Funktion haben. 

Vor kurzem gab es aber einen großen Durchbruch. Es wurde gezeigt, dass die Chance im Alter an Alzheimer zu erkranken durch defekte Mikroglia, oder Mikroglia, die ihr „Müllabfuhrprogramm“ nicht mehr aktivieren können, gewaltig erhöht wird.  Auch konnten Forscher am DZNE und ISD zeigen, dass intakte Mikroglia in unserem Gehirn sehr wichtige schützende Funktionen haben.  Diese können eventuell sogar therapeutisch aktiviert werden – ein Ansatz, der von zahlreichen Wissenschaftlern fieberhaft verfolgt wird. Sogar Bill Gates hat seine Begeisterung für diese Idee zum Ausdruck gebracht und dabei besonders die Arbeiten am DZNE und ISD in München hervorgehoben!


„Wir brauchen mehr Ansätze, um die #Alzheimer-Erkrankung zu stoppen. Ich freue mich sehr, dass diese Neuigkeiten aus @DZNE_DE und @ISD_research einen vielversprechenden
Ausgangspunkt für die Entwicklung neuer Therapiestrategien darstellen“  

Die Studie, unter der Leitung von Prof. Dr. Dr. h.c. Christian Haass und Prof. Dr. Michael Ewers, wurde im August 2019 in der Zeitschrift Science Translational Medicine publiziert.

Für diesen Beitrag von EinBlickDemenz haben wir ein Interview mit Prof. Dr. Robert Perneczky durchgeführt. Er ist der Leiter der aktuell laufenden ActiGliA-Studie. 

In der ActiGliA-Studie werden ältere Menschen mit subjektiver Gedächtnisminderung (subjective memory complaint, SMC), leichten kognitiven Störungen (Mild cognitive impairment, MCI), Alzheimer-Demenz und Kortikobasal-Syndrom (CBS) untersucht. Welche sind die Hauptunterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen diesen Gruppen?

Wir wollten Teilnehmer für eine Studie zur Alzheimer Erkrankung rekrutieren und die primäre Gemeinsamkeit dieser Gruppen ist, dass sie zum Großteil amyloidpositiv sind. Die Anhäufung von Amyloid im Gehirn ist eines der beiden Hauptmerkmale der Alzheimer-Krankheit, neben der Ablagerung des Eiweißes Tau. CBS ist eine atypische Parkinson-Krankheit, bei der 30% der Betroffenen ebenfalls Amyloidablagerungen aufweisen. Die Studienteilnehmer unterscheiden sich hauptsächlich im Schweregrad der Erkrankung. Das heißt, die ActiGliA-Studie umfasst das gesamte frühe klinische Spektrum der Alzheimer-Krankheit, von nicht messbaren, subjektiven Gedächtnisklagen bis hin zu einer voll ausgeprägten Demenz im leichten Stadium.

Wie vergleichen Sie die Daten der verschiedenen Gruppen miteinander?
Was kann Ihrer Meinung nach herausgefunden werden?

Unser Hauptziel in der Studie ist die Aktivierung des Immunsystems, also die Aktivierung der Mikroglia, zu verstehen und außerdem zu begreifen, wie sich dieser Prozess zur Funktion des Gehirns verhält. Aktivierte Mikroglia können wir mit der Positronen-Emissions-Tomographie, einem nuklearmedizinischen Verfahren, darstellen. Hirnaktivität lässt sich mit der funktionellen Kernspintomographie messen. Ganz besonders interessiert uns, wie sich das Verhältnis zwischen Mikroglia und Hirnfunktion über die unterschiedlichen Krankheitsstadien hinweg verändert. Wir versprechen uns davon wichtige Hinweise auf die Rolle des Immunsystems im Krankheitsgeschehen, um neue Therapien gegen diese schreckliche Krankheit zu entwickeln.

Was ist Ihre persönliche Meinung zu Mikroglia? Spielen sie eine positive oder negative Rolle im Gehirn?

Das ist schwer zu sagen. Mikroglia können sowohl positive als auch negative Einflüsse auf das Gehirn haben. Die Mikroglia sind wahrscheinlich im Frühstadium schützend. Sie versuchen, das Gehirn vor den Amyloid-Ablagerung zu schützen, indem sie die Ablagerungen an der Außenseite angreifen. Die Aktivierung des Immunsystems im Frühstadium ist also eher ein Schutzmechanismus des Gehirns. Nach allem, was wir wissen, führt die chronische Entzündung im späteren Alzheimer-Stadium dazu, dass die krankhaften Prozesse angefeuert und das Gehirn stärker geschädigt werden. Also je nach Stadium können die Mikroglia positive oder negative Wirkung haben. 

Amyloid und Tau sind die Hauptursachen der Alzheimer-Krankheit. Die ActiGliA-Studie befasst sich nicht nur mit Mikroglia, sondern misst auch die Mengen an Amyloid sowie Tau, und wie sich diese beiden im Laufe der Krankheit entwickeln. Ein Zusammenhang zwischen erhöhtem Amyloid und Mikroglia-Aktivität wurde in mehreren Studien gezeigt. Glauben Sie, dass die Entzündung des Nervensystems in Zusammenhang mit der Mikroglia-Aktivität die Bildung von Amyloid-Plaques und damit das Fortschreiten der Krankheit fördert?

So sieht es zumindest nach den Daten, die uns vorliegen, aus. Die Mikroglia versuchen zuerst, das Amyloid Eiweiß vom gesunden Gehirngewebe fernzuhalten, aber im späteren Verlauf fördern die Mikroglia die Ausbreitung von Amyloid im Gehirn.

Was könnte Ihrer Meinung nach der Grund dafür sein? Warum sollte der Körper einen solchen Prozess einleiten, wenn dieser Prozess einen negativen Effekt hat?

Ich glaube, dass der Körper einfach gegen die Krankheit kämpft, indem er das Immunsystem aktiviert, wie es bei jeder Krankheit, nicht nur bei Alzheimer, passiert. Irgendwann kippt das System und die Immunantwort reicht nicht mehr aus, um sich erfolgreich zu wehren. Stark vereinfacht ausgedrückt, überwiegen ab diesem Zeitpunkt die schädlichen Effekte der Entzündung - das ist bei Alzheimer genauso wie bei vielen anderen Erkrankungen auch. Auf molekularer Ebene ist dieses Geschehen natürlich deutlich komplexer, und wir fangen gerade erst an, die Zusammenhänge besser zu verstehen. ActiGliA wird dabei hoffentlich einen wesenlichen Beitrag leisten.

Was ist ActiGliA?

Activity of Cerebral Networks, Amyloid and Microglia in Alzheimer’s Disease – ActiGliA, ist eine prospektive Studie mit einem einzigartigen Studiendesign, einschließlich der Darstellung der Mikroglia- und Hirnaktivität, einer sehr detaillierten Testung der geistigen Fähigkeiten und einer umfassenden Erfassung des Lebensstils.

Ziel der Studie ist es, ein besseres Verständnis zu gewinnen über Verbindungen zwischen Mikroglia-Aktivierung, dem Verlauf des Nervenzelluntergangs und der Funktion des Gehirns bei Alzheimer.  Im Gehirnwasser sollen Biomarker identifiziert werden, die es in Zukunft erlauben den Grad der Mikrogliaaktivierung bzw. der Gehirnentzündung zu bestimmen.

Die Rekrutierung für die ActiGliA-Studie ist noch nicht abgeschlossen. Personen mit Gedächtnisproblemen oder Personen mit subjektiver Gedächtnisstörungen (SMC), leichter kognitiver Beeinträchtigung (MCI), Alzheimer-Krankheit oder kortikobasalem Syndrom (CBS) können sich über Prof. Dr. Robert Perneczky anmelden (Kontaktinformationen unten).

Interview mit Prof. Dr. Robert Perneczky

(Textfassung: Ida Pesämaa)

 

Zur Person Prof. Dr. Robert Perneczky:

Prof. Dr. Robert Perneczky, Geschäfstführender Oberarzt, Leiter Sektion für psychische Gesundheit im Alter & Alzheimer Therapie- und Forschungszentrum, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, LMU.
Kontakt:
Alzheimer Therapie- und Forschungszentrum, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität München
Nußbaumstr. 7, 80336 München
Telefon: 089/4400 55863
Email: PSY.Alzheimerzentrum@med.uni-muenchen.de
URL: https://gedaechtniszentrum-innenstadt.de/alzheimer/home.html

 

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