01_2019 "microRNAs - Können diese kleinen Regulatoren zur Früherkennung und zur Therapie der Alzheimer Erkrankung eingesetzt werden?"

Die krankmachenden Prozesse der Alzheimer Erkrankung beeinflussen Gehirnzellen an verschiedenen Punkten, was zu den geistigen Beeinträchtigungen der Patienten führt. Zum Beispiel treten Änderungen der Proteine (Eiweiße), Lipide (Fette) oder des Stoffwechsels der Zelle auf. Dabei passieren bereits sehr früh im Verlauf der  Erkrankung kleine Veränderungen in der Zelle. Mit neueren Analyseverfahren besteht nun Hoffnung, diese frühen zellulären Veränderungen nach einem bestimmten Muster zu erkennen und zu einer eindeutigen Diagnose zu nutzen.

Allerdings muss hierfür zuerst herausgefunden werden, wie dieses Erkennungsmuster aussieht, d.h. wie bestimmte Faktoren bei Alzheimer-Patienten verändert sind. Dazu eignet sich die Gewinnung von Biomarkern (biologischer Merkmale) aus Blut mit einer anschließenden massenspektrometrischen Analyse (dazu auch EBDArtikel 03_2016 & 03_2018). Dieses Verfahren ist  nicht-invasiv, kostengünstig und hoch-sensitiv gegenüber frühen Veränderungen der Krankheit. Bisher wurden bereits einige mögliche Biomarker beschrieben, deren Nachweis eine eindeutige Erkennung von Alzheimer Patienten gegenüber gesunden Kontrollgruppen ermöglichte.

Einer dieser möglichen Biomarker ist die Gruppe der microRNAs (miRNAs). Diese sind kleine Regulatoren in der Zelle, die an diversen biologischen Prozessen wie zum Beispiel Wachstum, Entwicklung, Blutgefäßbildung oder Spezialisierung von Zellen beteiligt sind. Es konnte bisher schon gezeigt werden, dass bestimmte miRNAs bei der Alzheimer Erkrankung verändert sind und dass diese Alzheimer-Schlüsselgene regulieren können. Dabei wurden sowohl miRNAs gefunden, die im Vergleich zu gesunden Kontrollgruppen erhöht, als auch andere die verringert waren. Ob diese Veränderungen nun Ursache oder Folge der Erkrankung sind ist noch nicht eindeutig belegt.

Dazu haben wir Prof. Dr. André Fischer befragt. Er ist Forscher am DZNE Göttingen und beschäftigt sich mit dem Krankheitsverlauf der Alzheimer Erkrankung und wie diese durch Umwelt-Faktoren und Schlüsselregulatoren wie z.B. miRNAs beeinflusst wird.

Herr Prof. Dr. Fischer, es ist bekannt, dass miRNAs in der Alzheimer Erkrankung dereguliert sind. Ist dieser Fund Ihrer Meinung nach als Ursache oder Folge der Erkrankung zu beurteilen?

„Beides. Eine Hauptaufgabe der miRNAs ist die Regulation des zellulären Gleichgewichts. Wenn dieses Gleichgewicht aus den verschiedensten Gründen während der Alzheimer Erkrankung gestört ist, zeigt sich das auch in Form einer Veränderung der miRNAs. Vieles deutet darauf hin, dass solche Veränderungen anfänglich dem Krankheitsverlauf entgegen wirken, also „kompensatorisch“ sind. Anderseits können die unterschiedlichen genetischen und umweltbedingten Risikofaktoren für eine Alzheimerdemenz die Aktivität der miRNAs soweit beeinflussen, dass die Entstehung eine Alzheimer Erkrankung begünstigt wird.“

Forscher untersuchen, ob der massenspektrometrische Nachweis bestimmter Deregulationsmuster von miRNAs in Alzheimer Patienten als nicht-invasiver Biomarker genutzt werden kann. Wie erfolgversprechend beurteilen Sie eine solche Diagnostik?

„Wichtig für die Etablierung erfolgreicher Therapien ist vor allem die Früherkennung von Personen, die ein erhöhtes Risiko für eine Alzheimerdemenz entwickeln. Wir müssen also Risikopersonen identifizieren, bevor sich eine Beeinträchtigung der kognitiven Leistungsfähigkeit zeigt. Daher brauchen wir Tests die minimal invasiv und kostengünstig sind und daher Bevölkerungsweit – ähnlich einer Krebsvorsorgeuntersuchung – eingesetzt werden können. Personen die in solchen Tests auffällig sind, können dann mit aufwendigerer Diagnostik – z.B. der funktionellen Bildgebung- untersucht werden, welche aus infrastrukturellen Gründen nicht im Rahmen einer Vorsorgeuntersuchung eingesetzt werden kann. Die Analyse von miRNAs in Blut könnte ein guter Marker zur Früherkennung von Risikopersonen sein.“

Doch wie entstehen diese miRNAs und was machen sie genau? miRNAs können die Proteine, einen Hauptbestandteil unseres Körpers, verändern, indem sie RNAs regulieren. Daher ist es erst einmal wichtig zu verstehen, wie RNA selbst entsteht (siehe Infobox A). Die genetische Information wird im Zellkern von der DNA abgelesen, was als Transkription bezeichnet wird. Eine Boten-RNA macht sich mit dieser Information (z.B. Merkmalsausprägung wie Haarfarbe/ Geschlecht) auf den Weg in den Zellkörper. Dort wird diese in Proteine übersetzt (translatiert). Die Entstehung von miRNAs ist ähnlich (siehe Infobox B). Auch sie werden von der DNA abgelesen und geschnitten bevor sie in den Zellkörper transportiert werden. Dort bestehen sie aus zwei gegenläufigen RNA-Strängen, wovon einer in einen Enzymkomplex namens RISC geladen wird. Dadurch kann die miRNA an Boten-RNAs binden und diese regulieren. Entweder führt das zum Abbau der mRNA oder zur Hemmung der Übersetzung der Boten-RNA in Proteine. Zusammengefasst, sorgen miRNAs also für den Abbau oder den Erhalt von mRNAs und folglich auch von deren Eiweißprodukten.

Somit kann man sich leicht vorstellen, was für Veränderungen diese kleinen Regulatoren hervorrufen können wenn sie außer Kontrolle geraten. Daher sind sie nicht nur für die Diagnostik, sondern auch für mögliche therapeutische Ansätze interessant. Dabei gibt es prinzipiell zwei Möglichkeiten (siehe Infobox C). Sollten Patienten mit zu niedrigen miRNA Levels diagnostiziert werden, könnten diese Levels durch die Verabreichung von miRNA-mimics ausgeglichen werden. Diese ersetzen die fehlenden miRNAs und sollen darüber dann auch die mRNAs wieder auf ein „gesundes“ Level regulieren. Andererseits kann ein erhöhtes Vorkommen dieser kleinen regulatorischen RNAs gestoppt werden, indem sie durch anti-miRNAs blockiert oder abgebaut werden. Diesen Prozess bezeichnet man als RNAi (RNA Interferenz). Auch dazu haben wir Prof. Dr. André Fischer befragt.

Wie vielversprechend schätzen Sie therapeutische Ansätze mithilfe von RNAi ein, um fehlregulierte Alzheimer-Gene wieder auf ein „gesundes Level“ zu regulieren?

„Hier gibt es eine Reihe von vielversprechenden Ansätzen und RNAi ist für seltene neurodegenerative Erkrankungen wie z.B. Chorea Huntington oder Amyotrophe Lateralsklerose bereits in der Erprobung. Es gibt auch Ansätze Alzheimer-Gene wie „Tau“ auf ein „gesundes Level“ zu bringen. Ein Vorteil von RNAi gegenüber herkömmlichen pharmakologischen Substanzen ist, dass es eigentlich kein therapeutisches Ziel gibt, welches nicht adressierbar wäre. Die Herausforderung liegt vor allem darin, die RNAi an ihren Wirkungsort – in der Regel das Gehirn – zu bringen. Ich persönlich halte RNAi basierte Therapien für ein wichtiges Werkzeug, das zukünftig an Bedeutung gewinnen wird.“

Was jetzt noch fehlt ist die Identifikation von Alzheimer-spezifischen Markern durch nicht-invasive Verfahren, die genau abgrenzbar sind von anderen Erkrankungen mit ähnlichen Symptomen (z.B. Parkinson oder vaskulärer Demenz). Also das genaue Muster, das zu einer frühen Erkennung der Krankheit führt (siehe Infobox D). Diese werden dann in entsprechend gut abgegrenzten Gruppen getestet bevor sie zur Entwicklung und Prüfung kostengünstiger Analysemethoden eingesetzt werden.  Erst danach kann eine Anwendung in der Klinik erfolgen.

Infobox

Quellen:

EBD 03_2016 „Was sind Biomarker“

EBD 03_2018 „Gibt es bald einen einfachen Bluttest für Alzheimer“

Peña-Bautista et al., 2018 (19.03.2019, http://www.eurekaselect.com/165695/article)

Interview mit Prof. Dr. André Fischer

(Textfassung: Susanne Kraft)

 

Zur Person Prof. Dr. André Fischer:

André Fischer ist Gruppenleiter für Epigenetik und Systemmedizin bei Neurodegenerativen Erkrankungen und Standortsprecher am DZNE Göttingen. Seine Forschungsschwerpunkte liegen auf dem Verständnis der Pathogenese der Alzheimer-Erkrankung und der Entdeckung von neuern therapeutischen Strategien. 

 

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